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Ältere Interviews mit Jim Kerr: 2001 - 2006
„Black
& White“
hieß die letzte Veröffentlichung, mit der sich die
Simple Minds mit
einem Paukenschlag zurück meldeten und mit der sie es auch
zurück
auf die Erfolgsspur vergangener Tage schafften. Was wohl auch der
Grund ist, weshalb die Zeitspanne seit dem kürzer scheint,
denn die
Band um Sänger Jim Kerr hat in der Zwischenzeit immer wieder
von
sich Reden gemacht. „Graffiti
Soul“ ist der nächste
Knaller, der sich klanglich an den Großtaten der Band
orientiert
und sich auch qualitativ mit ihnen messen lassen kann. Ich sprach mit
Jim Kerr.
Ich war überrascht,
dass es schon vier Jahre
her ist seit „Black & White“…
Ich kann es selber nie glauben, wie
schnell die
Zeit vergeht – wir haben gerade unser 30jähriges
Bühnenjubiläum
gefeiert – für mich sind das gefühlte 15!
Klanglich beginnt das neue
Album da, wo das
letzte Album aufgehört hat, oder?
Ja, das kann man durchaus so sagen,
aber ich
würde dazu gerne etwas weiter ausholen: Vor sieben Jahren war
es
sehr schwer für die Simple Minds, die schwerste Zeit, die wir
überstehen mussten. Ideen fehlten, Dinge wurden etwas
verzweifelt,
wir wurden unzufrieden – aber das ist vorbei! Die letzten
fünf,
sechs 6 Jahre ging es wieder bergauf, wir konnten das Auto wieder
in die richtige Richtung wenden und es sogar wieder auf Fahrt
bringen - und das letzte Album war wirklich ein Album, mit dem wir
sehr zufrieden waren. Nicht einmal die Tatsache, dass unsere
Plattenfirma plötzlich verschwand, hat uns groß
zurückgeworfen.
Interessant ist, dass sich der
Sound während
der folgenden Stücke wandelt. Während das Black
& White Album
ja eine Rückkehr zu Euren früheren Tagen war mit sehr
elektronischen „Wave“-Klängen, und das
neue Album damit anfängt,
scheint sich das Album mit jedem Song weiterzuentwickeln. Womit Ihr
ein bisschen Eure Weiterentwicklung wiederholt, die auch in den
Achtzigern zu beobachten war, oder?
Oh, danke, das ist ein großes
Kompliment für
mich! Ich glaube, es gibt da eine Dynamik, und ja, es gibt da
Ähnlichkeiten. Wie gesagt, vor ein paar Jahren hatten wir
wirklich
ein Problem mit neuen Ideen, und das, obwohl die Simple Minds
für
ihre Ideen bekannt war. Und unglaublicherweise ist diese
Kreativität zurückgekommen, und dafür sind
wir sehr dankbar. Wir
haben uns nie gesagt, dass wir irgendwohin wieder zurückgehen
wollen, denn das geht ohnehin nicht: Man selbst ändert sich,
die
Welt ändert sich usw., aber es gibt immer dieses Ziel, ein
Album zu
machen, von dem man sagen kann, es sei ein Klassiker aber
gleichzeitig auch zeitgemäß. Klingt einfach, aber
das ist sehr
schwer, denn man kann nie sagen, b man hineinpasst. Witzigerweise
passt es dann manchmal einfach, so wie in den letzten Jahren
durchaus ein Trend zu beobachten war, in dem die alten Zeiten
plötzlich wieder ganz aktuell wurden, dass Wave-Pop, oder wie
man
den Sound, für den wir und ein paar andere Bands in den
Achtzigern
bekannt waren, wieder up-to-date war. Ganz plötzlich ist also
die
Zeit einfach die richtige.
Während
der letzten Tournee hattet ihr
angefangen, das „New Gold Dream“ Album zu spielen,
wie kam es
dazu?
Nun, die Simple Minds waren nie
besonders gut
darin, zurück zu blicken, weil wir uns immer lieber auf neue
Ideen
konzentriert haben und dann haben wir immer gesagt,
zurückblicken
können wir ein anderes Mal. Aber das letzte Jahr war in
vielerlei
Hinsicht etwas Besonderes. Wir hatten 30jähriges
Bühnenjubiläum,
und es gab zwei Möglichkeiten, wie man darüber denken
kann:
entweder wir ignorieren es, ich meine, wer will schon mit seinem
Alter angeben, oder aber man feiert es, ich meine, wen kümmert
es?
Und es gibt ja auch gute Gründe, 30 Jahre zu feiern
– Mick Jagger
macht das seit 45 Jahren, Lou Reed auch! Also haben wir uns
dafür
entschieden und dann kamen wir auf das Album, das vielleicht nicht
unser kommerziell erfolgreichstes war, aber das oft als
künstlerischer Meilenstein betrachtet wird. Und Tatsache war,
dass
wir viele Songs davon nie live gespielt hatten, also war auch das
etwas ganz besonderes. Diese Retro-Sache ist mal ganz lustig, aber
nur, wenn dein neues Album die gleiche Vitalität und Energie
hat
und nicht wie von einer dreißig Jahre alten Band klingt,
sondern
von einer Band, die hungrig ist, heiß darauf, Eindruck zu
hinterlassen. Und das war der Deal, den wir mit uns selbst gemacht
haben.
Nun ist es nicht ganz einfach,
Euch als
junge, hungrige Band zu sehen… aber um das mit New Gold
Dream in
Beziehung zu setzen: Das neue Album scheint genau diese Art von
Sound aufzunehmen, oder?
Genau den Sound? Nein (lacht). New Gold
Dream
war für mich nie ein Rockalbum. Dafür ist es zu soft,
viel mehr
Pop.
Also habt ihr nicht vor, Eure
Entwicklung der
Achtziger noch einmal zu wiederholen…
Nein, wiederholen kann man das eh
nicht. Aber
ich glaube, man hat seine Gene. Man sieht seine eigene Band, hat
seine Trademarks, und die kann – und will die auch gar nicht
loswerden.
Das letzte Album und vor allem
die letzte
Tour waren ein Riesenerfolg – trotz 80s-Revival Trends, etc.
– war
dies mehr als man erwarten konnte?
Dieses ganze positive Feedback ist
natürlich
großartig und wir sind sehr dankbar dafür, aber mit
Blick auf das,
was heutzutage auch gerade im Hinblick auf die Technik möglich
ist
kann ich nur sagen: Diese Band klingt besser als jemals zuvor!
Intensiver, abwechslungsreicher, dramatischer – und ich
hätte nicht
für möglich gehalten, dass ich das zu diesem
Zeitpunkt noch einmal
sagen würde – und DAS macht mich glücklich!
Tatsache ist ja auch, dass
nachdem Du nach
Italien gezogen bist, ein Hotel aufgemacht hast, ich so ein
bisschen den Eindruck hatte, dass ein ganz neuer Lebensabschnitt
für Dich begonnen hatte – bist Du überhaupt
noch interessiert
daran, zu 100% ein Rockstar zu sein?
Es hat eine Weile gedauert, aber ich
habe
begriffen, dass man eine solche Sache nicht halbherzig machen kann.
Einerseits, wenn man eine so lange Karriere hat, muss man zusehen,
dass man sich auch etwas anderes nebenher aufbaut, denn wer
möchte
schon so eindimensional sein? Aber gleichzeitig wandelt man auch
auf einem sehr schmalen Grad, denn wenn man an diesem Punkt steht,
an dem man ein neues Album fertig hat und veröffentlichen
möchte,
muss einem klar sein, dass das die gesamte Aufmerksamkeit
braucht.
Natürlich gibt man
als Künstlern immer alles,
das man zu geben imstande ist, aber denkt man ob des Zeitaufwandes,
der danach folgt nicht auch manchmal, die Hälfte des Erfolgs
wäre
jetzt auch genug?
Erfolg ist nur eine Seite. Und sobald
man ein
Album raus bringt, möchte man natürlich, dass so
viele Menschen wie
möglich es hören, bzw. zumindest die Chance bekommen,
davon zu
erfahren. Aber noch wichtiger ist die andere Seite: Das ist eine
psychologische Frage. Man wacht auf und hat eine Idee. Ich war
neulich im Kino und plötzlich, aus dem Nichts schwirrte mir
diese
Idee zu einem Song im Kopf herum, so dass ich mich überhaupt
nicht
mehr auf den Film konzentrieren konnte. Also kann man sagen, trotz
jeglicher Gedanken oder Pläne, die ich absichtlich machen
könnte,
geht es in erster Linie darum. Man muss die Ideen loswerden, sie am
besten herausschreien, um Platz im kopf zu bekommen. Und das ist,
worum es mir beim Musikmachen geht. Wenn man einen Song schreibt,
denkt man nicht an die Platten, die man verkauft hat, oder die man
verkaufen könnte, man fängt mit jeder Platte neu an.
Also wird es „dieses
Rolling Stones
Ding“?
Nun, nenn es die Stones, aber es ist
auch das
Neil Young Ding oder das Lou Reed Ding und das Peter Gabriel,
Leonard Cohen und das Bob Dylan Ding. Das ist der Weg, auf dem man
ist. Und auch nach 33 Jahren ist das nicht einfach das Rolling
Stones Ding, es ist das Leben. Es ist nicht nur eine Band, es ist,
was Du aus deinem Leben gemacht hast. Andere sind Maler oder
Tischler geworden, das ist, was uns und unser Leben defniert!