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Porcupine Tree 

Interview 2003

 

Von Ralf Koch

 

Eigentlich ist es unglaublich – nach so vielen Jahren im Untergrund haben es Porcupine Tree nun doch noch geschafft, einen Major-Deal bei Warner zu unterzeichnen. Nicht, dass wir nicht alle fest daran geglaubt hätten. Nicht dass sie es mehr als verdient gehabt hätten. Aber eine kleine Sensation ist es doch. Oder doch nicht? Steven Wilson erläuterte uns, warum die Veränderung kommen musste. Und noch ein paar andere Dinge.

 

1. Nun also endlich mit einem Major Deal  - spielt das eine Rolle für Dich?

Ja, es ist wichtig, ganz einfach weil nun mehr Leute die Chance haben, sich ein Bild von der Band zu machen um dann zu entscheiden, ob sie Porcupine Tree gut finden oder nicht. Zu lange haben zu viele Leute einfach nichts von der band mitgekriegt. Das war mit dem Background einer kleinen Plattenfirma einfach so nicht möglich. Und ich weiß auch nicht, welchen Weg wir sonst hätten gehen sollen, weil das Leben als Underground Band auf Dauer doch etwas “soul-destroying” ist.

 

Ihr hattet Gespräche mit Majors schon vorher – wie kam es jetzt dazu?

Wir hatten Angebote von mehreren Labels. Es gibt mehrere Gründe. Erst einmal waren wir als Band schon relativ bekannt, und die Plattenfirmen wussten, dass wir viele Fans haben. Und dann gab es auch eine Verschiebung im Bewusstsein der Plattenfirmen. Intellektuelle Rockbands wie Radiohead, Tool, Mercury Rev, Sigur Ros, Coldplay – diese Bands haben Platten verkauft, ohne Single-kompatibel zu sein. Im Endeffekt ist doch die ganze Musikindustrie auf Album-Bands aufgebaut, und sie ist es einfach leid, Millionen in eine Band zu investieren nur für den Erfolg eines einzigen Albums. Was sie interessiert, ist eine Band, die auch durchhalten kann. Außerdem haben unsere letzten Alben gezeigt, dass wir durchaus auch in der Lage sind, gute Popsongs zu schreiben, Songs zu schreiben, die man im Radio spielen kann – das war auf den früheren Alben ja nicht unbedingt der Fall.

 

Sind diese Songs von früheren Alben – Three Chords, Piano Lessons – im Radio gespielt worden (außer in den Independent Prog-Sendungen)?

Nein. Ganz einfach, weil uns die Marketingpower fehlte. Mit diesem Album könnte das ganz anders werden. “Sound of Muzak” als erste Single soll im Juni veröffentlicht werden.

 

Wird der Major-Deal Auswirkungen auf die Musik haben?

Niemals! Dann hätten wir niemals einen Vertag unterschrieben. Wenn überhaupt irgend etwas, dann ist es eher noch experimenteller, härter, dunkler. Es gibt keine Frage, dass Porcupine Tree jemals eine Platte für die Ansprüche von irgend jemandem machen – außer für uns selber! Und ich glaube auch, dass wir deswegen erfolgreich sind, dass wir uns deshalb so lange gehalten haben. Wir sind immer wir selbst geblieben – und immer unberechenbar. Mit jedem Album haben wir ein paar Fans verloren, aber jede Menge dazu gewonnen.

 

Also was würdest Du sagen, ist der größte Unterschied des neuen Albums zu den Vorgängern?

Oh, das ist einfach. Die neue Platte setzt endlich unsere härtere Seite viel stärker frei. Die Produktion ist dynamischer, die Gitarren sind lauter, die Songs sind schneller. Die Texte sind dunkler, es gibt einige recht unbequeme Sachen darauf (lacht). Wenn die letzte Platte eher ein “Chill-Out” war, dann ist die neue Platte Porcupine Tree Rocks! Und die Live Show wird auch mehr eine Rock-Show. Und das Timing dafür ist perfekt, weil es durchaus ein paar American Rock Elemente hat, was es einerseits weniger kommerziell macht, andererseits sich eben bestens verkaufen lässt zwischen all diesem NuMetal Zeug.

Du hast die dunklen Texte schon erwähnt – allerdings gab es ja auch auf den früheren Alben schon düstere Texte, oder?

´Lightbulb Sun´ war melancholisch, das war mein “Relationship-Breakup-Album”. Viele traurige Themen. Auf dem neuen Alben gibt es viele harte, aggressive Texte. Auch aggressiv gegen dritte, normalerweise schreibe ich ja eher persönliche Texte, aber diese Texte gehen viel gegen bestimmte Leute – Kinderschänder, Serienmörder, Vergewaltiger, Frauen-Misshandler, all diese netten Leute.

Hattest Du bestimmte Personen im Kopf...?

Manche, ja. Leute von denen ich gelesen habe, etc. Diese Gewalt-Texte gibt es ja vornehmlich im Heavy Metal. Mich hat weniger die Seite interessiert, was diese Leute machen, als die Frage, was diese Täter dazu getrieben hat. Was ist in der Kindheit – oder dem Erwachsenenleben – eines Serienmörders  passiert, dass sie zu Gewalttätern gemacht hat? War es eine einzelne Sache oder eine Serie von Vorkommnissen? Die Songs sind immer eine Mischung aus Fact & Fiction. Es gibt also nicht immer einen ganz bestimmten Auslöser für einzelne Texte, sondern sie sind das Ergebnis meiner Studien in diesem Bereich.

 

Ein Stück, aus dem man nicht unbedingt schlau wird, ist Trains – wovon handelt es?

Ich sage ungern spezielles über die Songs. Es ist eine Reminiszenz an meine Kindheit – ich war schon immer fasziniert von Industrial Sounds, nicht Industrial Musik, dieser Marilyn Manson Kram  – und ich glaube, ein Grund dafür ist, dass ich als Kind eine Weile in der Nähe eines Bahnhofs gelebt habe. Und ich lag im Bett und hab diese Züge und all diese Geräusche gehört. Als Kind denkt man eigentlich nicht, dass einen diese Geräusche beeinflussen. Aber ich habe festgestellt, dass diese Sounds bestimmt haben, wie ich Musik oder Geräusche allgemein wahrnehme. Und Trains handelt davon. Unter anderem, aber mehr will ich nicht verraten. Ich habe mir abgewöhnt, meine eigenen Texte zu erklären, das zerstört die Eigeninterpretation der Hörer. Ich glaube, Musik ist deswegen eine überlegene Kunstform, weil sie den Produzenten wie den Konsumenten gleichermaßen fordert. Der Hörer muss interpretieren, was er erfährt. Und es gibt auch nicht immer nur eine bestimmte Interpretation von Texten. Es geht doch darum, was sie dem Hörer bedeuten.

 

Die Art Deiner Musik und diese düsteren Texte lassen auf einen sehr melancholischen, gedankenvollen Menschen schließen – ist das so?

Ich sehe mich nicht unbedingt als melancholischen Menschen. Ich glaube, jeder Mensch hat die gleichen Gefühle zu irgendeiner Zeit seines Lebens. Jeder fühlt sich mal traurig, melancholisch, fröhlich, was auch immer. Die Frage ist nun, warum ich so viel von der melancholischen Seite in meine Musik stecke, und nicht meine fröhliche Seite. Ich bin durchaus ein fröhlicher Mensch, ich bin nicht den ganzen Tag deprimiert! Aber Rockmusik hat seit jeher eine starke Affinität zu traurigen Texten, im Metal z.B. findest Du immer wieder die Begriffe Tod oder schwarz, etc.

Ich habe für mich fest gestellt, dass die Musik, die mich am meisten anspricht, eher aus der dunkleren, traurigeren Seite kommt – denn die kann sehr schön und aufbauend sein! Das widerspricht sich keineswegs, denn Tatsache ist doch, dass traurige Musik uns sagt, dass wir mit unseren Problemen nicht alleine sind, sondern dass das Sachen sind, de Jeder schon mal durchgemacht hat, und das kann sehr aufbauend sein. Und auf der anderen Seite macht mich diese künstliche Fröhlichkeit depressiv, all diese Club-Dancescheiben, die sagen doch nichts über MEIN Leben. Und all diese Boy- und Girlbands, die über Liebe singen – das sind doch Sachen, die die niemals erfahren haben können. Britney Spears, singt über Sex und Liebe –  und sie hat nichts davon erlebt! Diese künstliche Sexyness ist einfach unreal, und das macht mich depressiv. Während mich eben echte, emotionale Musik, melancholisch oder nicht, mich wirklich berührt – und mich glücklich macht!

 

Phew, klasse Antwort. Schwer, davon wieder zu den anderen Fragen zurück zu kehren. Anyway: Wo ist Euer alter Drummer, Chris Maitland abgeblieben?

Ich weiß nicht, wo er hin ist. Ich sage Dir auch nicht, ob er uns verlassen hat, oder ob wir ihn rausgeschmissen haben. Porcupine Tree waren lange eine sehr extensive Band für die anderen Jungs, jedes Album hat uns nur etwa 3 Monate eines Jahres gekostet, ein bisschen Aufnehmen, ein bisschen touren, den Rest des Jahres hatten wir für andere Dinge frei. Als wir den Major Deal unterschrieben, hat sich viel geändert – im Hinblick auf den Druck und die Erwartungen und den Anspruch für die Band. Der Aufwand für die Band hat sich ungefähr verdreifacht – mehr touren, mehr Songs, mehr Promotion. Und wir alle wollten das, weil im Endeffekt alle wollten, dass wir genau das erreichen mit Porcupine Tree – alle außer Chris.

Zuerst ging´s noch, aber im Endeffekt war es etwas, was ihn nicht wirklich glücklich gemacht hat.

 

Stichwort O.S.I.: wie kam es zur Zusammenarbeit?

Jim hatte mir vor ein paar Jahren schon mal ein paar Demos geschickt, ich glaube zum Produzieren oder so, aber ich sagte ihm, es wäre nicht wirklich meine Art von Musik. Ich glaube, was mich an diesen amerikanischen Heavy-Prog Bands immer am meisten stört, ist dieser aufdringliche Gesang. Ich meine es gibt noch ein paar andere Sachen, die mich stören... (überlegt)... aber ich will nicht mehr dazu sagen. Es ist einfach nicht meine Musik. Ist ein bisschen “cheesy”.

Anyway, wir blieben im Kontakt, und dann erzählte er mir von O.S.I., und ich liebe Kevin Moore´s Stimme, also schickte er mir ein paar Demos und sie waren fantastisch! Allerdings war ich gerade dabei, das PT-Album zu schreiben, also sagte ich ihm, dass ich nicht so viel Zeit hätte. Also bearbeitete ich zumindest zwei seiner Stücke – die sie im Endeffekt zu “Shutdown” zusammen gefügt haben. Ich hätte gerne mehr gemacht, aber ich bin froh, dass ich zumindest diesen Beitrag  hatte.

 

Außerdem gibt es ein neues Opeth-Album – eine Band aus dem Death Metal-Genre, deren letzen 2 CDs Du produziert hast. Ihr neues Album “Damnation” zeigt dagegen eine ganz andere, ruhigere Seite von Opeth. Wie groß war Dein Einfluss?

Sehr groß! Ich habe alle Keyboards gespielt, Backing Vocals, Gitarre, ich habe die Songs zusammen mit Mikael Akerfeldt arrangiert und habe das Album produziert, es war also schon eine Menge – und es hat eine Menge Spaß gemacht. Bei ihren Metal-Platten hatten sie längst ihren eigenen Sound, aber bei diesem Album konnte ich mich sehr stark einbringen.

 

Und haben umgekehrt Opeth DICH beeinflusst?

Ja, definitiv! Aber nicht nur Opeth, es gab auch noch ein, zwei andere Metal Bands, die mich inspiriert haben, ein paar mehr Metal Aspekte in unsere Musik mit einfließen zu lassen. Opeth sind eine klasse Band. Wenn sie progressive Metal spielen, dann haben sie beides, eine sehr brutale aber auch eine sehr schöne Seite, und es ist diese Kombination, die mich reizt. Schon wegen der Death-Vocals mag es nicht Jedermanns Sache sein.

 

Sind weitere Zusammenarbeiten geplant?

Ja, wir würden beide sehr gerne mehr machen, aber sowohl Opeth als auch PT stehen beide gerade auf der Schwelle, erfolgreicher zu werden, und wir können nicht vorhersagen, inwieweit uns das beschäftigt halten wird. Wir wissen beide, dass wir Interesse haben, aber unsere Zeitpläne werden bestimmen, wann wir dazu kommen werden.

 

Und schließlich gibt´s noch ein neues Album von No-Man! Porcupine Tree sind so unglaublich abwechslungsreich, wozu brauchst Du noch dieses weitere Projekt? Sind PT trotzdem für Dich nur eine limitierte Möglichkeit, Deine Kreativität loszuwerden?

Es gibt bestimmte Sachen, von denen ich denke, sie würden nicht zum Sound von PT passen. Natürlich sind PT abwechslungsreich, aber No-Man haben einen anderen Ansatz. Zunächst wäre das Tim Bowness als anderer Sänger, der schon mal ganz anders klingt, als ich. Und dann gibt es keine Rock-Elemente bei No-Man. PT sind, was immer sie machen, immer eine Rockband, No-Man stehen auf der anderen Seite – mal Ambient-, mal Jazz-, oder sogar Klassik-beeinflusst, und das sind Sachen, die ich nicht unbedingt mit PT verbinden würde.

 

Das Konzert in Hamburg wurde bereits in eine größere Halle verlegt, war trotzdem ausverkauft, genauso wie die meisten anderen Gigs – der Major scheint sich also bereits auszuzahlen!

Ja, absolut. Die Hallen wurden gebucht, bevor die Platte herauskam, und dann verkaufte sie sich viel besser als alle erwartet haben. Und es ist ein unglaubliches Gefühl, plötzlich vor ausverkauftem Haus zu stehen, und die Leute singen Deine Texte mit. Früher wussten wir nie, wie viele Leute überhaupt kommen würden, und die Hälfte der Leute kannte uns kaum oder gar nicht. Und plötzlich haben wir Fans auf der ganzen Welt, und das ist ein unglaublich gutes Gefühl. Wie es aussieht werden wir schon im Mai wieder kommen, spätestens aber im Herbst!

 

Letzte Frage: wo siehst Du Dich in 10 Jahren?

(Lacht) Ich weiß es nicht – will ich auch gar nicht. Eine der besten Dinge mit meiner Musik war immer, dass ich nie wusste, wohin sie mich führt. Ich habe nie etwas großartig geplant, sondern habe mich immer von meinen Instinkten und meinem Enthusiasmus leiten lassen. Kuck Dir an, wo wir VOR 10 Jahren standen – man kann kaum sehen, dass das die selbe Band war. Nur wenn man sich all die Zwischenstadien anhört, kann man die Entwicklung nachvollziehen. Aber ich hatte keine Idee, dass ich jetzt hier stehen würde. Und wenn ich vor ein paar Jahren nicht Skandinavischen Heavy Metal für mich entdeckt hätte, oder auch die Beach Boys, so viele Sachen wären jetzt ganz anders. 10 Jahre sind eine so lange Zeit – ich weiß es nicht, und das mag ich!