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Staind Interview 2008
Von einem Debütalbum, zeugt entweder dafür, genau den Zeitgeist getroffen zu
haben, oder aber sich wirklich den Allerwertesten wund gespielt zu haben, um
sich einen so guten Ruf zu erarbeiten. Oder beides zusammen. In Europa sind
Staind vor allem mit ihrem 2001er-Hit „It’s been a while“ bekannt geworden,
seit dem gehört die Band um Sänger Aaron Lewis
und Gitarrist Mike Mushok zu den Big Playern im Alternative Rock Genre. „The
Illusion Of Progress“ ist ihr sechstes Album und führt die Band wieder in neue
Bereiche. Von ihren harten NuMetal-Elementen schon lange befreit, tauchen hier
Elemente auf, die man so vielleicht nicht erwartet hätte. Wir sprachen mit Mike
Mushok.
Hallo Mike, „It’s been a while“ - es ist eine Weile her seit Eurem letzten
Album – was hat euch so beschäftigt?
Mike Mushok: Nun, zunächst waren wir gut eineinhalb Jahre
auf Tournee und um ehrlich zu sein, danach haben wir eine Pause eingelegt.
Meine Frau hat Zwillinge bekommen und ich habe eine Zeit damit verbracht, Vater
zu sein, Aaron war mit Soloakustik-Shows unterwegs, dann haben wir letztes Jahr
wieder ein bisschen live gespielt und dann sind wir wieder zusammen gekommen
und haben angefangen, neue Songs zu schreiben.
Glückwunsch zu den
Zwillingen – Du sprichst mit einem „Leidenspartner“…
Mike Mushok: Die ersten Monate sind unglaublich, oder? Der
Hammer. Aber sie sind jetzt 20 Monate alt, da sind sie aus dem Gröbsten ja
schon wieder raus (lacht). Das ist so ein tolles Alter. Und ich habe eine
Jungen und ein Mädchen, und es gibt wirklich nichts Besseres. Mein Sohn ist der
absolute Junge, will alles sehen und kuckt jedem Truck und jedem Auto hinterher
und meine Tochter liebt Blumen und hübsche Sachen, kann sich stundenlang ein
Buch ankucken, und er kann gar nicht genug Programm bekommen, und das ist
wirklich spannend.
Das kann ich mir
vorstellen. Ich habe zwei Mädchen, da sind die Unterschiede etwas feiner – was
auch nicht weniger spannend ist. Aber ich fürchte, wir müssen die Zeit vor allem
nutzen, um über die Band zu sprechen… Ist eigentlich jedes Album eine Reaktion
auf das letzte?
Mike Mushok: Ich weiß es nicht, eigentlich steht da keine
bewusste Entscheidung dahinter, für mich zumindest nicht. Ich arbeite an Ideen,
schreibe Songs und gehe damit zu den Jungs um zu sehen, was sie davon gut
finden. Der einzige Unterschied für mich war: In der Vergangenheit habe ich
daneben noch viele Songs auf dem Bariton, einer tiefer gestimmten Gitarre
geschrieben, dadurch war die Spanne etwas größer. Für dieses Album habe ich den
Großteil auf einer Standardgitarre geschrieben habe, weswegen wir im Prinzip
nur zwei Tonarten haben. Das war eine bewusste Entscheidung und eigentlich die
einzige – aber das hat natürlich mit dem Vorgängeralbum nichts zu tun.
Der Albumtitel „The
Illusion of Progress“ ist also nicht unbedingt auf die Band bezogen?
Mike Mushok: Nein, nicht wirklich. Natürlich kann man diesen
Satz auf viele Dinge anwenden, aber Tatsache ist, dass uns der Satz während der
Arbeit am Album einfiel. Aaron und Johnny, unser Produzent, standen herum,
anstatt am Gesang zu arbeiten. Es gibt in jedem Aufnahmeprozess Phasen, in
denen man irgendwie nicht wirklich weiterkommt, an dem man sich nicht so
richtig aufraffen kann, und dann versucht, das unauffällig zu überspielen – und
eben vorzutäuschen, dass es voran geht.
„Dysfunction“ wird in
der Regel als Euer „Durchbruchs-Album“ angesehen – aber war es nicht eher der
Song „It’s been a while“, der Euch wirklich auf breiter Front bekannt gemacht
hat?
Mike Mushok: Absolut, keine Frage. Ich glaube auch, vor
allem in Europa, denn da passierte mit „Dysfunction“ noch nicht sehr viel. Also
hat dieser Hit natürlich noch viel mehr verändert. Aber trotzdem haben wir
von„Dysfunction“ eine Million verkauft – und Platinstatus mit einem Debüt, das
hat nicht einmal das Label erwartet.
Wohl wahr.
Allerdings, das Album nach diesem Hit, „14 Shades of Grey“ war immerhin relativ
soft und mainstreamig ausgefallen, vor allem die richtig harten Elemente waren
komplett verschwunden – trotzdem war das keine Reaktion auf den Erfolg von „It’s
been a while“?
Mike Mushok: Falls das so war, dann war es nicht bewusst.
Wie gesagt, Songs entstehen einfach, wir sagen uns nicht, das letzte Album war
dies, wir müssen jetzt mehr dort hin. Natürlich hätte die Plattenfirma das
gerne gesehen, die hätten am liebsten gleich wieder einen Song wie „It’s been a
while“, aber wir dachten eher – nein, das hatten wir ja schon, wir brauchen den
nicht noch einmal. Natürlich gibt es Songs, die zugänglich sind, aber eben
anders. Das ist der Kampf, den wir seit diesem Song ausfechten, das ist eins
der Dramen des Erfolgs. Ich meine, wir führen diesen Kampf nicht in der Band,
aber mit jedem Album, das man schreibt und dann einreicht, schaut die
Plattenfirma, wo die Hits sind, wo vielleicht die Fortsetzung dieses Hits ist. Wenn
Du also sagst, dass „Shades of Grey“ softer war, dann war das für uns eher ein
Wachsen und eine Reflektion unserer selbst zu dieser Zeit, was wir gehört haben,
wo wir uns selbst gesehen haben.
„Chapter V“ hatte
wieder ein paar mehr Extreme…
Mike Mushok: Ich glaube, Chapter V war wirklich eine
gelungene Balance aus härterem Material und auch softeren Parts.
Die neue Single
„Believe“ ist wohl einer der Staind-typischsten Song auf dem neuen Album…
Mike Mushok: Und schon deswegen die offensichtliche
Single-Entscheidung, weil das Label natürlich den Widererkennungswert haben
will. Aber das Album ist so viel mehr. Das Problem mit dem Musikbusiness heute
ist ja, dass die Leute sich einfach nur noch die Singles runterladen. Ich
meine, wir machen uns so viel Arbeit, ein Album mit 12, 14 Songs einzuspielen,
auszuwählen etc, und die Leute kaufen sich einfach nur die Single. Und ich weiß
ganz genau, dass die Songs, die mir am meisten am Herzen liegen, niemals
Singles sein werden.
Das erste, was zum
Album zu lesen war, waren Infos über die Pink Floyd-Elemente darauf – ich
meine, ihr habt „Comfortably Numb“ schon lange auf Euren Setlists gehabt, aber
wie passt das mit Staind zusammen?
Mike Mushok: Das ist schwer zu sagen. So hat es sich
entwickelt. Das neue Album hat ja auch Blues-Songs, es gibt Blues-Solos, Hammond-Orgel-Passagen,
einen Chor, Pedal-Steel Gitarre - wir haben wirklich versucht, jedem Songs das
mitzugeben, was sie brauchten, ohne darauf zu achten, ob wir irgendein Genre
oder Klischee bedienen müssten.
Hat auch was mit
Wachsen zu tun, oder?
Mike Mushok: Oh sicherlich! Um ehrlich zu sein, für mich ist
das auch ein Zurückgehen zu meinen Wurzeln, zu meinen früheren Einflüssen – nur
dass ich früher niemals in der Lage war, die so gut auszuarbeiten (lacht).
Apropos ausarbeiten -
Ihr nennt das neue Album Eure „musikalischste“ CD – kannst Du das näher
erläutern.
Mike Mushok: Wir haben die Bass- und Schlagzeug-Spuren vor
Weihnachten aufgenommen – und bis Mai die Songs zu Ende gefeilt. Das sind 4, 5
Monate, an denen wir wirklich immer wieder an einzelnen Teilen gearbeitet haben
– einfach, um dieses Album so variabel und breit zu machen, wie noch kein Album
zuvor.
Die Texte waren schon
auf „Chapter V“ optimistischer geworden – kannst Du etwas zu den neuen Songs
sagen?
Mike Mushok: Klar. Wir sind lange in eine Schublade gesteckt
worden, auf der stand „dunkel, depressiv“ und bislang ist es uns nicht
gelungen, da wieder raus zu kommen, ich hoffe, wir können mit dem neuen Album
da einen Schritt weiter gehen. Natürlich ist es immer einfacher, ein Label
einfach zu benutzen und sich keine Gedanken zu machen, ob es noch stimmt. Ich
kann nur hoffen, dass sich die Leute das neue Album anhören, denn es hat
deutlich mehr Gewicht, als man uns lange zugeschrieben hat.
„Dysfunction“ ist
jetzt knapp 10 Jahre her… fühlt es sich wie zehn Jahre an?
Mike Mushok: Es fühlt sich wie ein ganzes Leben an. Es fällt
mir wirklich schwer, mich an das Leben vor Staind zu erinnern. Wir machen diese
Band seit 1994 und es ist wirklich ein Wahnsinn, dass wir seit dem immer noch
zusammen sind und zu sehen, was wir damit alles erreicht haben.
In den USA tourt ihr
mit 3 Doors Down und Hinder, in Deutschland mit Nickelback – ist es auch in
diesem Genre am sinnvollsten, in diesen Paketen auf Tournee zu gehen?
Mike Mushok: Für mich schon. Ich meine, es ist doch toll,
den Fans einfach etwas mehr zu geben. Die wirtschaftliche Lage ist schwer
genug, da kann man doch lieber gleich zwei Bands auf der Liste haben. Ich sehe
das als Vorteil für die Fans.