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Selig

Oldenburg, 5.12.95

Es ist der 1. November, halb fünf am Nachmittag in den Backstage-Räumen des "Jovel" in Münster, und Selig stehen kurz vor dem letzten Konzert des ersten Teils ihrer Tournee. Bassist Leo flippert, Drummer Stoppel und Gitarrero Christian haben sich bequem im Sofa niedergelassen und schauen Fred Feuerstein und Sänger Jan ist gerade aufgestanden, und kommt verschlafen hereingestolpert. Lediglich Keyboarder Malte hat die Aufgabe bekommen, sich um die Journalisten zu kümmern. Einer von ihnen war Ralf Koch im Auftrag des Diabolo.

 

Diabolo: Hallo, Seit wann steht ihr jetzt wieder im Touralltag?

Malte: Wir sind jetzt 6 Wochen unterwegs, und machen ab morgen erstmal einen Monat Pause. Anfang Dezember geht's dann wieder los.

Diabolo: Wie war die Resonanz?

Malte: Sehr gut. Wir hatten ein paar ausverkaufte Shows dabei, die Platte hat sich auch recht gut verkauft, wir sind auf Platz 15 in den Charts gewesen, und auf der Bühne lief's auch.

Diabolo: Ihr habt eine recht kurze Bandgeschichte - 1993 gegründet, 1994 die erste Platte, 1995 die zweite - es klappt ganz gut!

Malte: Ja, das kann man wohl sagen; glaubt uns auch kaum ein Mensch, aber es ist wahr. Jan und Christian haben sich in 'ner Kneipe getroffen, und haben sich berlegt, eine Band zu machen. Ich war schon vorher viel mit Jan zusammen, nachdem wir auch schonmal zusammen in einer anderen Band gespielt hatten, genauso wie Stoppel, mit dem war ich in einer anderen Band. Christian hatte mit Leo gemeinsame Spielerfahrung, und so kamen wir halt zusammen. Außerdem kannten wir damals den Produzenten Franz Plasa, der uns sofort unter seine Fittiche genommen hat, und uns ziemlich schnell an die richtigen Leute weitervermitteln konnte. Und mit seiner Hilfe konnten wir auch einen guten Plattendeal aushandeln, der uns auch die  nötigen Freiheiten und Mitspracherechte gewährt.

Diabolo: Ihr seit alle recht jung (Durchschnittsalter 25), wie kommt ihr zum "Retro-Rock"?

Malte: Wir nennen das immer "Hippie-Metal", aber wahrscheinlich ist das das Gleiche. Warum das so gekommen ist, kann ich nicht sagen. Wir haben vorher alle in Bands mit anderer Musik gespielt, trotzdem ist in unserem Übungsraum dieser Sound zustande gekommen. Das war nicht aus irgendeiner Berechnung heraus, wir haben eigentlich garnicht vorher besprochen, was für einen Sound wir machen wollen.

Diabolo: Wenn man sich das Kleingedruckte auf den Platten so ansieht, könnte  man meinen, dass Jan und Christian fast alleinverantwortlich für alles  "selige" sind.

Malte: Könnte man vielleicht, ist aber überhaupt nicht der Fall. Es ist weder nach außen hin so, dass die Beiden, nur weil sie die Band ins Leben gerufen haben, die Chefs sind, noch innerhalb der Band sie mehr zu sagen hätten, als wir alle. Das geht alles durch den großen Bandwolf, und in jedem Song stecken Teile von Jedem. Wie die Songs am Ende klingen,  ist eigentlich ausnahmslos das Produkt von uns Fünf.

Diabolo: Wann sind die Songs des neuen Albums entstanden, während, oder nach der Tour?

Malte: Es war so, dass wir uns Ende '94 gesagt haben, dass wir  'ne Pause bräuchten, und die ganzen Erlebnisse des letzten Jahres verarbeiten mussten. So haben wir uns dann im Übungsraum eingeschlossen für einen Monat und angefangen, die Songs zu schreiben und auszuprobieren.

Diabolo: Habt Ihr Euch verändert?

Malte: Wir sind vor allem reifer und experimentierfreudiger geworden, und besser aufeinander eingespielt. Und erwachsener sind wir - oder vielleicht einfach nur älter.

Diabolo: Euer Sound ist etwas härter geworden.

Malte: Insgesamt wohl wahr. Vielleicht aber auch nur extremer, ich meine, es gibt viele ruhige Passagen. Ein Grund dafür ist einfach das recht extreme Jahr, was wir erlebt haben. Und die Stücke der CD und v.a. ihr Aufnahmeprozessß war ja eine Art psychoanalytischer Prozess der Verarbeitung des letzten Jahres und allem, was wir da erlebt haben. Und das war schon irgendwie der Wahnsinn. Das ging in alle Richtungen, und recht extrem eben, und das hat sich eben in der Musik wiedergefunden. Im  Übrigen war das auch ein kontinuierlicher Prozess, während der letzten Touren sind auch die Stücke der ersten CD immer härter gespielt worden. Man kann sich dann gerade live mehr ausleben und besser austoben.

Diabolo: Es spiegelt das letzte Jahr wieder, aber es gibt ja keine direkten Tourerlebnisse.

Malte: Keine Tourerlebnisse, aber Eindrücke. Viele Sachen behandeln einfach Gefühle, die wir auf Tour haben. Zum Beispiel "Nach Hause" ist so ein Stück,  welches für mich übrigens eines der wichtigsten Stücke darstellt. Aber ich habe auch bei vielen anderen Stücken immer dieses deja vu-Gefühl, dass ich oft Dinge aus dem Tour-Alltag wiederfinde.

Diabolo: Wer sieht sich "Hinter dem Spiegel"?

Malte: Da meint Jan sich selber - oder eigentlich meinen wir uns selber. Da war halt in Brüssel, als wir die Platte aufgenommen haben, diese teilweise recht harte Erfahrung, dass wir uns teilweise gefragt haben, was machen wir eigentlich hier. Man schaut in den Spiegel und findet sich Scheiße. Brüssel war superextrem. Es ist auf Dauer eine stinklangweilige Stadt, wir waren total isoliert, hatten nur uns selbst und unsere Musik, die aus dieser Psychoanalyse bestand, wir waren zu fünft und saßen sowas von aufeinander,  das trifft man auf keiner Tour, da macht man eine ganze Menge durch. So ähnlich stelle ich mir eine Therapie vor. Aber eigentlich wollten wir das ja so, und nur deshalb, glaube ich, konnte diese Platte auch soviel Intensität gewinnen.

Diabolo: Euer Produzent Franz Plasa kommt ja eher aus dem Pop-Bereich (Felix de Luxe, The Land) - wieso er?

Malte: Weil wir ihn schon lange kennen, und er uns. Er hat musikalisch und auch menschlich sehr viel drauf, weiß was er wann von uns fordern kann, und wann er uns lieber in Ruhe lassen sollte. Ihm ist zu verdanken, dass einiges auf der CD so klingt, wie es klingt, weil er Sachen von uns abverlangt hat, die wir uns selber vielleicht gar nicht zugetraut hätten.

Diabolo: Ein Stichwort, das einem nicht ganz von ungefähr beim Hören Eurer Alben in den Sinn kommt - "Legalisierung des Hanfanbaus".

Malte: Da könnte wahrscheinlich Stoppel am meisten zu sagen... aber ich denke für Jeden steht fest, dass Marihuana harmloser ist, als Alkohol oder Fernsehen, und von daher gibt es im Prinzip keinen ersichtlichen Grund, diese Droge so überzubewerten.

Diabolo: Wem ist die Platte gewidmet, wer ist Melina?

Malte: Das ist meine Tochter, die während der Tour zuhause auf mich wartet. Meine Kraftquelle, und ein Grund für die Unterbrechung der Tour. Deshalb freue ich mich auch schon genauso auf zuhause, wie auf den zweiten Teil der Tour.