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Er ist der alte
Haudegen im Hardrock: 1969 schloss er sich Deep Purple an und schrieb mit ihnen
Rockgeschichte, in den Achtzigern wurde seine Vita durch Black Sabbath ergänzt.
Noch heute ist er mit Deep Purple unterwegs, hat nebenbei immer auch diverse anderen
Bands/Projekte, denen er angehörte, und hat – seit den Siebzigern – auch immer
zusätzlich seine Solokarriere angeschoben: Mit unzähligen Studio- und
Live-Alben, die die Bluesrock-Röhre teilweise auch von einer anderen Seite
zeigen. Noch nie allerdings hat sich Ian Gillan so Pop, Soul und
Groove-oríentiert präsentiert, wie auf seinem aktuellen Werk, „One Eye To
Morocco“. Um ihn dazu zu befragen, erreichen wir ihn in Prag.
Was machst Du in der
Tschechischen Republik?
Wir spielen heute Abend hier zur Eröffnung der Winterspiele.
Es ist herrlich, wir haben schönsten Schnee hier. Und übermorgen spielen wir in
Buenos Aires, das wird wohl das genaue Gegenteil. Aber ich liebe die
Gegensätze.
Offensichtlich – dein
neues Album ist das beste Beispiel dafür. Seit wann hast Du denn ein Auge auf
Marokko geworfen?
Ich mochte den Ausdruck, den hatte ich mal aufgeschrieben. Die komplette Version lautet „Das eine Auge auf Marokko, das andere auf die Sache“ und beschreibt eine Situation, in der man etwas unkonzentriert ist. Mir wurde gerade eine sehr ernste Geschichte erzählt über Schindlers Liste und ich war etwas abgelenkt durch ein paar schöne Frauen, die an mir vorbei liefen. Und in der Situation musste ich mir vorwerfen lassen, „One Eye To Morocco“ zu haben.
Es gibt also – trotz
orientalischer Elemente z.B. im Titelstück – keinen wirklichen Bezug zu Africa?
Die Songs sind über mehrere Jahre entstanden, absolut ohne Zeitdruck und Stress und die meisten mit meinem Freund Steve Morris. Er kam immer zu mir nach Liverpool, wir tranken ein paar Bier und schrieben ein paar Songs zusammen – ohne festes Ziel, was daraus werden sollte. Es gab also keine Albumpläne, bis eines Tages, Roger Glovers Mutter starb und wir einen Teil unserer Purple-Tour verschoben. Ich nutzte derweil die Zeit, mich mit ein paar Freunden in Buffalo, New York zu treffen und so entstand das Album eigentlich sehr kurzfristig.
Musikalisch ist das
Album zunächst überraschend.
Es gibt mehr im Leben als Schreien. Als ich zu Deep Purple stieß, waren das alles durchaus Elemente in unserer Musik. Aber wenn Du eine so kraftvolle Rock-Besetzung hast, dann bleibt da nicht mehr so viel von übrig. Für dieses Album habe ich mich sehr früh entschieden, keine explizite Rock-Geschichte machen zu wollen, keine großen Soloausflüge etc, weil es einfach keinen Sinn für mich macht, eine zweitklassige Purple-Alternative zu schaffen. Also haben wir uns mehr auf den Rhythm’n’Blues, den Soul und Country und Rockabilly zu konzentrieren. Und es war eine tolle Reise. Und es gibt diese sanfte Seite in mir, frag meine Frau! Ja, es ist anders, aber es ist nicht wirklich komplett anders, als das, was ich bislang gemacht habe.
Du nennst Leute wie
Ray Charles und James Brown Deine Einflüsse, aber Du bist ihnen noch nie so nah
gekommen, oder?
Nein das stimmt. Man passt sich ja immer etwas an. Ich meine ich war in vielen verschiedenen Bands, Rockbands, Jazzrock-Bands, viele Bands mit vielen verschiedenen Stilen, aber letzten Endes ist es immer die gleiche Aufstellung – Gitarre, Keyboards, Schlagzeug – und was am Ende heraus kommt, ist immer die Quersumme der Musiker. Und wenn Du dagegen Robert Plant siehst – was er solo macht, ist komplett anders, als Led Zeppelin.
Robert Plant ist ein
gutes Stichwort – er hat gerade fünf Grammys gewonnen mit Musik, die komplett
anders ist, als das, was man von ihm kannte…
… die aber wahrscheinlich sehr viel mehr von Herzen kommt als Zeppelin.
Würdest Du das von
diesem Album auch sagen? Dass es mehr von Herzen kommt, als die Purple Songs?
Hmm. Wenn wir diese Songs mit Purple aufgenommen hätten, würde man sehen, dass die Songs gar nicht so weit davon entfernt sind – dann gäbe es diese Frage gar nicht. Es wäre rockiger, die Produktion wäre eine komplett andere. Nein, diese Songs sind „just me“.
Was ich mich nur
fragte war, würdest Du es gut finden, mit dieser Seite von Dir ein neues
Kapitel aufzuschlagen, mit dem Du vielleicht sogar plötzlich richtig Erfolg
haben könntest?
Das ist ein beängstigender Gedanke! Wenn ich Musik mache, denke ich gar nicht an die geschäftliche Seite… und wenn Du mich jetzt so fragst, nein, ich glaube nicht. Deep Purple ist meine Familie, und solange ich Beine habe, werde ich mit denen auf der Bühne stehen. Und ich glaube nicht, dass ich zwei Karrieren gleichzeitig haben wollte. Nein, dies könnte vielleicht eher die Seite sein, die ich dann im Sitzen mache…
Nachdem wir so viel
über diese „neue Seite“ gesprochen haben – Songs wie „No Lotion fort hat“
bedienen auch durchaus auch die Rock-Seite, die man von Dir kennt, oder?
Dieser Songs ist 100% Chuck Berry. Das ist reiner Rock’n’Roll, der so ungefiltert von Chuck Berry durch mich durchgeflossen ist. Der Rhythmus, der Text, die Struktur, alles. Ich weiß noch, dass als ich zu Deep Purple kam, war der erste Song, den wir aufnahmen „Speedking“. Ich war so durcheinander, ich sang einfach Textzeilen dazu, die mir in den Sinn kamen – Textzeilen von Elvis Presley, Little Richard, all diese Songs. Und was ich damals mit zu Purple nahm, ist genau das, was ich jetzt mit in dieses Album nehme. Diese Sachen fließen einfach so aus mir heraus.
Du hast also nie
darüber nachgedacht, wie dieses Album werden sollte oder was irgendjemand davon
halten könnte?
Nein, wie gesagt, es ist sehr entspannt entstanden. Wir hatten knapp 40 Songs, aus denen wir am Ende auswählen mussten. Und erst, als ich mit dem Titelsong eine mögliche Richtung gefunden hatte, suchten wir die Songs aus, die dazu passen könnten – alle anderen wanderten zurück ins Regal. Und es gibt ein paar Hardrock Fans, die etwas mit den Augen gerollt haben, als ich ihnen von dem Album erzählte, aber gleichzeitig habe ich schon einigen eine echte Freude damit gemacht, gerade weil es einfach mal etwas anderes von mir ist.
Was würdest Du Dein
Ziel, Deine Herausforderung mit einem neuen Album nennen?
Ich sehe keine Herausforderung. Ich bin da nicht so gut drin. Ich mache Musik, weil sie raus muss. Und die Leute, mit denen ich arbeite, bestimmen das Ergebnis. Nein, ich fürchte, ich habe da keinen Plan. Mein einziges Ziel im Leben ist, meine Theorie zur Unendlichkeit zu lösen. Ich habe mich in den letzten zehn Jahren eine Menge mit diesen Wissenschaften und Philosophien beschäftigt.
Du hast viele
verschiedene Sachen gemacht in den letzten vierzig, fünfzig Jahren – gibt es da
noch Träume, die Du gerne verwirklichen würdest?
Ist ein bisschen spät dafür, oder? Ich hätte mich gerne mehr mit diesen Wissenschaften beschäftigt und mein Studium dazu beendet, aber ich habe mich nun einmal entschieden, Musik zu machen, das ist auch ok. Es gab Sachen, die ich dafür zur Seite legen musste, aber die kann ich jetzt ja nachholen – aber das sind keine Sachen, die irgendjemanden anders interessieren würden. Das ist privat und ich bezweifle, dass die je veröffentlicht werden, auch wenn es rund 100,000 Seiten mittlerweile sind.
Musikalisch gibt es schon eher etwas, was ich noch einmal versuchen würde – und z.B. mit diesem Album, denn es hat mit Musik und Tanz zu tun.
Tanz-Musik?
Nein, nicht ganz. Es ist eher so, dass ich bereits mit diesem Album beobachten konnte, dass es die Menschen dazu anregt, sich zu bewegen. Wir hatten eine Fotosession in Mailand und ich beobachtete ein paar Mädels dabei, dass sie zur Musik wippten. Sie hörten eigentlich gar nicht richtig zu, sie unterhielten sich und es war relativ unruhig, aber ich konnte sehen, dass sie den Groove aufnahmen und ich dachte: „Ja! Mission geglückt!“
Und meine Vision ist eine Theaterproduktion, die Flamenco, Jazz und Avantgarde zusammen mit visuellen Darstellungen, eine große Band, die all diese verschiedenen Stile kombinieren kann und zu einem Fest für die Augen und Ohren werden lassen kann – falls ich einen Choreographen und einen Promoter finde, der verrückt genug ist, das mit mir umzusetzen.
Aber nicht zurück zum
Musical – auch das hast Du ja in den 70ern gemacht…
Nein, ein Musical hat mehr etwas mit einer Geschichte zu tun, die mit Musik und Tanz erzählt und ausgedrückt wird. Meine Idee bezieht sich eher auf Bewegung, Tanz und Rhythmen rund um eine Sammlung von Songs, keine erzählte Story.
Gibt es zum
„Morocco“-Album eigentlich Tourpläne?
Nein, absolut nicht. Wir sind eingespannt genug mit Deep Purple – vor allem, da wir eigentlich dieses Jahr auch noch ein neues Album angehen wollen. Allerdings kann ich da zum jetzigen Zeitpunkt auch noch nicht viel mehr drüber sagen, als diese Tatsache – alles Weitere wird sich ergeben.