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Interview 1999
Aufmerksame Progressivrock-Leser werden den Namen schon
einmal an anderer Stelle vorgefunden haben. Eine Progressivrock-Band, die
gerade ihr 25-jähriges Jubiläum mit einer neuen CD feiern, und trotzdem ist der
Name noch relativ unbekannt. Eigentlich seltsam, oder?
Nicht mehr so ganz, wenn man die ganze Geschichte kennt. Ein aufschlussreiches Gespräch über eine 25jährige Bandgeschichte mit einem sehr realistischen Blick auf die Musikszene. Christian Nové hat zu viel gesehen und zu viel gemacht, um sich Träumereien oder Illusionen hinzugeben. Sein Interesse gilt der ehrlichen, guten Musik – mit der Liebe zum Hobby, nicht dem Kommerz.
Ihr seid die vierte Veröffentlichung auf Berlins neuerem
Label für junge Bands “Early Birds” – obwohl ihr ja eigentlich kein “Early
Bird” mehr seid...
Nové: Das ist wohl richtig. Aber sie sind auch nicht
unser einziges Label, da wir im Prinzip bei Pool Music einen festen und auch
deutschlandweiten “Allgemein”-Vertrieb haben. Sie sind jetzt der auf
Progrock-Abnehmer spezialisierte Vertrieb, und deshalb für uns eine sinnvolle
Ergänzung. Das ist eigentlich eine eher unübliche Praktik, aber es war v.a. für
die neue CD natürlich schon interessant. Ich meine, wir haben uns als Band Dice
und mit den bisherigen Veröffentlichungen nicht von Anfang als Progrock-Band
verstanden, aber in der letzten Besetzung, die mittlerweile 4 Jahre alt ist,
hat sich das so herauskristallisiert. Vor allem durch den Gitarristen Thomas
Jäger und den Schlagzeuger Thomas Bunk, denn die beiden sind ganz extreme
Prog-Rock-Fans.
Kein Early Bird, bisherige Veröffentlichungen, aktuelle
Besetzung – vielleicht sollten wir von vorne anfangen mit der Geschichte von
Dice!
Nové: Ok, ich habe Dice 1974 in Gütersloh gegründet,
Ganz zu Anfang hätte man uns eigentlich auch schon Progressivrock nennen
können. das waren durchaus unsere Wurzeln. Das löste sich nach ca 2 ½ Jahren
aber auf, schon bevor ich 1977 nach Frankfurt/M
gezogen bin, und wo ich dann die Band mit Franfurter Musikern neu
formiert habe. Das fing dann an mit dem alten Material, und wechselte über die
Jahre immer mehr, weil auch die Besetzungen ständig andere waren. Das hatte
schon fast Projekt-Charakter, wo ich gezielt mit Leuten ins Studio gegangen
bin, um Titel für eine Debüt-LP aufzunehmen, nur eben über einen langen
Zeitraum und für jeweils 3-4 Stücke mit immer anderen Besetzungen. Eine dieser
Besetzungen war dann auch wieder mit Gütersloher Leuten, wie George Kochbeck,
der damals schon Keyboard für Peter Maffay gespielt hatte und vielen anderen
Größen wie Jochim Kühn, Ina Deter usw., aber den kannte ich noch von früher.
Dann dabei war auch noch Alto Pappert von Kraan, das war eigentlich die
professionellste Besetzung. Der einzige Frankfurter war mein Gitarrist Thilo
Schneider. Und da haben wir eben die letzten drei Stücke aufgenommen, um die LP
komplett zu machen.
Das waren dann immer noch alte Stücke, oder auch neue
Sachen?
Nové: Das waren auch neue. Diese drei Titel z.B.
waren speziell für diese Leute geschrieben, und da war dann auch so ein
Reggae-Pop-Stück dabei, man hatte damals auch schnell die Träume vom großen
Durchbruch und Charts und Hitparaden...
In Frankfurt war ich insgesamt 15 Jahre, zwischendurch kam
auch noch eine zweite LP in Eigenproduktion und Mini-Auflage, aber das war dann
auch schon kein Art-Rock mehr. Das waren dann auch immer wieder neue Leute, da
hatte ich mal eine Besetzung, in der drei Bläser waren, da kommen natürlich
noch ganz andere Elemente hinzu. Die Musiker haben immer ihre eigenen Einflüsse
mit rein gebracht, was ich auch immer befürwortet habe. Da war dann auch 1985
eine reine Disco-Produktion dabei unter dem Namen L.E.X.X., mit der ich auch in
der BRAVO war. Zwischendurch hieß das immer mal wieder Dice, 1990 hatten wir
eine Jazz-Rock Produktion, das hatte ich dann Tengo Tengo genannt, weil es
einfach mal wieder eine Phase war, in der die derzeitige Besetzung den Stil
bestimmt hatte und ich das ein bisschen von dem Vorgänger abheben wollte.
Das mag jetzt vielleicht alles so klingen, als ob mir das
piepegal gewesen wäre, was ich für Musik spiele, aber das war gar nicht so. Ich
habe über die Jahre bestimmt 4 bis500
Songs geschrieben, die irgendwie alle “meine” Songs waren, aber wie die
im Endeffekt klangen, bestimmte die Band. Man kann ja auch jede Beatles-Komposition
in ein Country-Mäntelchen oder auch Hardrock-Mäntelchen wickeln.
Schließlich habe ich 1990 in Leipzig ein Stadtmagazin
gegründet, war dann noch zwei Jahre Pendler und bin ´92 nach Leipzig gezogen.
1993 habe ich dann angefangen wieder neue Musiker unter dem Namen Dice zusammenzuwürfeln,
teilweise das alte Material wieder aufzuarbeiten und natürlich neue Songs. Das
anfängliche Hickhack dokumentiert dann auch die ´97er CD “Nightmare”, die
sowohl Aufnahmen von 1994 enthielt, wie Aufnahmen von 1997 – und auch nur die
natürlich mit der jetzigen Besetzung. Da ist schon ein Unterschied hörbar, da
ist die eine Hälfte deutlich rockiger, und die andere Hälfte hinweisend in die
Richtung, wo wir jetzt sind. Und auch seit der “Nightmare” sind wir auch erst
konkreter in diese Progrock-Richtung gegangen. Ursprünglich haben wir´s noch
“Artrock” genannt, dann mal “Space-Rock”...
...konnte ich ehrlich gesagt nie nachvollziehen...
ja, für mich war “Space-Rock” kein feststehender Begriff,
ich hatte das mehr auf unsere flächigen / “spacigen”, sprich im Raum
sschwebenden Keyboards bezogen. Das hing auch ganz konkret damit zusammen, dass
der Gitarrist und der Schlagzeuger als “Leute vom Fach” noch meinten, dass wir
nicht so richtig, bzw. nicht durchgehend progressiv sind, weshalb wir das noch
anders nennen sollten. Aber auf die neue CD trifft das Label “Prog” eben dann
doch zu.
Und das war euer Ziel?
Ja, wir sind jetzt angekommen. Die Band steht jetzt auch
erstmals geschlossen hinter dem gesamten Material, jetzt wissen wir, was wir
auch weitermachen wollen. Das ist das, was wir unter Progressivrock verstehen.
Wir haben eine ganze Menge Songs in diesem Sound und arbeiten z.Zt. schon am
Nachfolger, der spätestens im nächsten Sommer erscheinen wird. Wir hätten auch
fast eine Doppel-CD machen können.
Die Songs stammen von Dir...
...grundsätzlich. Und die Arrangements von der Band. Da ich
ein eigenes Tonstudio habe, kann ich die Songs schon ein bisschen vorbereiten,
das “Grundgerüst Lied”, aus dem eben durch das Arrangement erst ein Progressivrock-Song
wird.
Klingt ja fast ein bisschen konstruiert...
Nein, das nicht. Aber die Jungs können gar nicht anders. Der
Gitarrist spielt so wie er spielt. Und er will auch gefordert werden. Und der
Drummer lebt zwischen Progressivrock und Jazzrock und ist unbefriedigt, wenn er
einen glatten 4/4 spielen sollte – was aber die meisten Grundkompositionen von
mir in der Regel erstmal nur haben.
Und wie sind die Songs entstanden?
Das ist ein bisschen kompliziert. Angefangen haben wir als
Live-Band in einem Fremdstudio, da haben wir 4 Songs komplett eingespielt. Die
anderen drei Songs sind von mir in meinem Studio entstanden. Da spiele ich
zuerst den kompletten Song fertig mit allen Instrumenten – mehr oder weniger
professionell... Und wir haben alle das Cubase-Programm zuhause, und so gebe
ich den Musiker den Song auf Diskette mit, die können ihren Part in aller Ruhe
aufnehmen, geben ihn mir zurück, und ich mische das schließlich zur
Bandgesamtheit zusammen. Das sind zwei völlig unterschiedlich Arten, Songs zu
machen, und wenn ich auch das erste vorziehe, so ist das zweite doch auch sehr
spannend. Und beides auf einer CD gemischt ist um so interessanter. Aber dieses
Tüfteln ist auch eine Wahnsinnsarbeit, das wird also bestimmt nie das
Live-Einspielen ersetzen, da würde man viel zu lange an einer CD sitzen, aber
so als Ergänzung ist das interessant.
Auf der neuen CD gibt es auch erstmals zwei
12-Minuten-Songs...
...ja, das ist die Tendenz. Wir haben eigentlich nur noch
längere Songs im Programm. 6 Minuten ist da schon kurz.
Und die langen Songs stehen dann auch anfangs als kurze
Ideen?
Ja, die wachsen dann immer durch das Arrangement.
Und die Texte schreibst Du auch?
Jein. Ich schreibe die Texte an – mit Refrain und ungefährem
Inhalt, so als englisches Grundgerüst. Und dann habe ich einen Texter in
Bremen, mit dem ich mittlerweile recht lange schon zusammenarbeite, Dennis
Small, ein Amerikaner, der schreibt die Texte dann aus. Oder die zweite
Möglichkeit ist, dass ich fertige Texte von ihm nehme. Er ist ein Vielschreiber
und hat mir mal eine Diskette mit Texten von ihm gegeben. Und dann nehme ich
auch die manchmal einfach als Ideen und ergänze sie für meine Zwecke.
Um noch einmal auf den Anfang des Gespräches
zurückzukommen: Du hast mit Szene Records ein eigenes Label und für die neue CD
auch einen neuen Vertrieb. Willst Du nur eigene Produktionen auf diesem Label
vertreiben?
Nein, eigentlich nicht, ich würde auch gerne andere Bands
auf diesem Label veröffentlichen, das wären dann aber reine Übernahmeverträge.
Pool Music ist ein gut funktionierendes Vetriebssystem, damit ist man theoretisch
in jedem Plattenladen erhältlich. Wir waren vorher bei BMG, das klingt dann
riesengroß, ist aber im Prinzip auch nicht groß anders. Ist sogar fast noch
besser, weil die kleinen nämlich auch die spezielleren Plattenläden noch besser
kennen. Das interessiert die großen Vertriebe ja gar nicht.
Das Interesse an anderen Bands bezieht sich aber auch auf
die Möglichkeit – vielleicht im Austausch – zusammen live zu spielen. Wir haben
noch relativ wenig Kontakte zu anderen Bands, und Auftritte irgendwo in
Deutschland zu buchen macht ja für eine Progressivrockband relativ wenig Sinn.
Von daher wäre ich auch sehr am Kontakt zu anderen Bands interessiert.
Die Sparte Progressivrock ist ja allgemein bekannt für
eher weniger spektakuläre Zuschauerzahlen...
Aber immerhin ist es eine Sparte. Das ist eigentlich schon
wieder ok. Ich meine, wenn Du – ganz allgemein – “Rockmusik” machst, sprich mal
ein Stück Reggae, ein bißchen Alternative usw., sprichst Du ja gar keinen an.
Von daher kann man eigentlich froh sein, wenn man zumindest in irgendeine
Schublade gesteckt wird, weil auch nur dann der evtl. geneigte Hörer
angesprochen werden kann. Es gibt mittlerweile einfach zu viele Veröffentlichungen,
wer soll denn da ohne Schubladen noch wissen, was es sich lohnt mal anzuhören.
Deswegen verstehe ich auch immer Bands nicht, die in Interviews immer darauf
bestehen, “in keine Schublade” zu gehören, “wir bedienen alle Schubladen” – das
ist eigentlich schön doof!