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Interview Bruce Cockburn (2007)
Der Kanadier ist eine
Ikone der internationalen Folk- und Rockszene, der mit beeindruckender
Kontinuität seit über 35 Jahren Alben veröffentlicht. In seinen Anfangstagen
wurde Cockburn überwiegend den Genres Folk und Jazzrock
zugeordnet, auch sein christlicher Glauben prägte lange seine Texte. Über die
Jahre kamen sowohl weitere musikalische
Einflüsse (Reggae,
Weltmusik)
als v.a. auch textlich immer mehr weltliche Themen hinzu. "Life Short Call
Now" ist das 29. Album des Friedensaktivisten und Umweltschützers, und
Songs wie "This is Baghdad" (mit der eröffnenden Zeile
"Everything´s broken in the birthplace of law"!) sind weitere
Beispiele für die Aussagekraft seiner Songs. Musikalisch schafft es Cockburn,
auch seinem neustem Album neue Elemente hinzuzufügen – und präsentiert mit u.a.
Ron Sexsmith, Hawksley Workman und Ani DiFranco interessante Gäste.
Würdest Du zustimmen,
dass Du musikalisch etwas ruhiger geworden bist in den letzten Jahren?
Ich bin mir nicht sicher, ob ich das so sagen würde. Ich weiß nicht, ob ich da objektiv sein kann, aber ein Song wie "Slow Down Fast" ist durchaus noch ein Rocksong und nicht viel ruhiger als "If I had a Rocket Launcher" (der Hit seines ´84er Albums "Stealing Fire", Anm. der Red.). Ich erinnere mich daran, als ich den zum ersten Mal gespielt habe – in Chile zur Pinochet-Ära – dass die Leute sagten "wow, so ein wütender Song in so schöner Musik" – was offensichtlich nicht zu ihrem Schubladendenken passte. Wenn ich den Song mit "Call it Democracy" vergleiche, der etwas rockiger ist, kann ich nur sagen, alles steht und fällt mit den Texten. Die Texte bestimmen, wie der Song behandelt werden muss. Ich wechsele gerne zwischen Aggressivität und Harmonie. Für mich ist Songwriting vergleichbar mit einem Film-Drehbuch. Natürlich ist es einfach, zu sagen, dass man mit dem Alter ruhiger wird…
…das hast Du jetzt
gesagt!
Wo ich gerne zustimmen würde, ist in der Tatsache, dass es wesentlich mehr Tiefe in meinen Songs gibt heute. Ich hoffe es zumindest, dass das rüberkommt. Aber auch das kann ich schwer selbst beurteilen. Eine Sache, die auf diesem Album jedenfalls zum ersten Mal vorkommt, ist dass ich ein Orchester zur Begleitung habe.
Es gab ja eine Menge
musikalischer Veränderungen in Deiner Karriere. Verglichen mit Deiner –
kommerziell wohl erfolgreichsten – eher Pop-orientierten Seite in den
Achtzigern würde ich die letzten Alben eher "Singer/Songwriter"
nennen.
Was dann schon wieder das ist, was ich in den Anfängen gemacht habe, da vielleicht noch mit mehr Folk-Anteilen – was jedenfalls immer so genannt wurde.
Oder warst Du immer
ein Singer/Songwriter und nur die Arrangements haben sich geändert?
Ich habe mich z.B. nie als Folk-Sänger gesehen, der ich am Anfang oft genannt wurde. Ich hatte immer schon sehr verschiedene Einflüsse und habe mich nie als Vertreter einer bestimmten Tradition gesehen, was für mich am ehesten einen Folksänger definieren würde – aber da stehen wir plötzlich in einer Definitionsfrage, und dann kommt Ani DiFranco und sagt, sie macht Folk, und wenn sie das so nennen würde, dann trifft das wohl auch auf mich zu. Nein, ich war immer ein Songwriter. Was ich über die Jahre immer mehr hinzugenommen habe, sind die Jazz-Einflüsse.
Obwohl es auch da
schon sehr frühe Anfänge gab, oder?
In der Tat habe ich mein kreatives Leben angefangen mit dem Studium von Jazz und dem Versuch, ein Jazzkomponist zu sein, aber das war Anfangs noch nicht sehr fruchtbar. Und als ich dann ernsthaft angefangen habe, Songs zu schreiben, war ich am ehesten beeinflusst von Songwritern wie Dylan oder Gordon Lightfoot, und hatte gar nicht den Mut, Jazz-Songs zu schreiben. Aber ich habe diese Musik immer geliebt, und deshalb habe ich schon in den 70ern angefangen, andere Musiker zu meinen Albumaufnahmen einzuladen, die diese Elemente einbrachten. Und erst über die Jahre habe ich angefangen, das in mein eigenes Spiel zu übernehmen. Dadurch ist mein Songwriting wesentlich anspruchsvoller geworden heute.
Was sich auch
geändert hat, ist die textliche Seite – Du bist als christlicher Sänger
angefangen.
Ich bin angefangen als Suchender. Als christlicher Sänger habe ich mich erst nach dem 4. Album "Night Vision" bezeichnet, weil es erst da diese eindeutigen Bezüge gab. Aber letzten Endes habe ich nie aufgehört, ein Suchender zu sein. Ich meine, ich bin immer noch bekennender Christ, aber ich denke nicht mehr groß darüber nach.
Das änderte sich ja
auch schon mit den weltlichen und politischen Themen, die immer mehr Einzug in
die Texte hielten.
Das war aber durchaus auch eine Folge meiner spirituellen Suche. Und ein großer Motor für diese Seite war die Geburt meiner Tochter 1976. Was mich wohl mit den meisten jungen Eltern verbindet. Man kuckt auf dieses kleine Baby und fragt sich, ´oh Gott, in was für eine Welt habe ich dieses Kind geboren?´. Man fängt an, sich Gedanken zu machen und möchte Dinge verändern. Außerdem begann ich, außerhalb von Nordamerika zu reisen und viel mehr über die Zusammenhänge von Dingen und ihrer Wirkung zu lernen. Der Luxus, den wir uns nur leisten können, weil viele Leute es eben nicht können – Zweitautos, unbegrenzter Gefrierfachplatz, das dürfte es gar nicht auf der ganzen Welt geben, weil die dann längst kollabiert wäre. Und so lange wir nicht lernen, mit unseren Ressourcen zu haushalten, bringt das ganze Globalisierungs-Gequatsche nichts, weil unser Luxus eben auf dem Rücken anderer wächst.
Schaffst Du es, auf
Luxus zu verzichten?
Ich fürchte, nein. Zumindest nicht in dem Maße, wie ich es selber gerne hätte. Ich fahre viel Fahrrad, wo es möglich ist, aber tue ich das wirklich für die Umwelt oder eher für meine Gesundheit? Aber ich kann schlecht mit dem Fahrrad auf Tournee gehen…
Trotzdem ist es unsere Aufgabe, die Entscheidungsträger, die Politiker zu beeinflussen, denn nur die großen Veränderungen können etwas bewegen.
Vor allem in
Nordamerika.
Ich schätze ja. Aber auch hier in Deutschland gibt es zwar Proteste gegen die Castortransporte – aber die Züge fahren immer noch!
Zurück zum Album: Was
bedeutet der Albumtitel für Dich – "Life Short Call Now".
Eine Referenz an mein Alter (lacht). Kleiner Scherz!! Nein, natürlich wird man sich bewusst, dass je älter man wird, desto mehr Zeit schon vorbei ist. Aber es geht auch um die Zeit, in der wir leben. Der Titelsong beschäftigt sich mit dem Alleinsein, einem Verzweiflungsschrei, aber als Albumtitel bekommt das natürlich eine tiefere Bedeutung, das ist schon richtig. Ich beziehe mich da auf das immer schnelllebigere Leben auf unserem Planeten.
Ein Monument in
musikalischer Hinsicht ist der Song "Beautiful Creatures" – was war
die Inspiration dafür?
Ich war in Montreal, wo ich damals gewohnt habe, und habe über die Polarbären nachgedacht, von denen es hieß, dass sie aussterben würden. Und mir fielen all die anderen wunderbaren Tiere ein, Bären, Tiger, all diese Tiere, die wir gerne als die großen, stolzen, mutigen Tiere bezeichnen, die aber für immer zu verschwinden drohen. Und ich nahm dieses Bild des Bären, der über seine Schulter blickt und die Bühne durch den Vorhang verlässt.
Der mittlere Teil von
"Life Short Call Now" ist gespickt mit politischen oder
sozialkritischen Texten – sozusagen die Essenz des Albums?
Vielleicht könnte man das so nennen, ja. Man muss dem Hörer
ja nicht gleich mit der Waffe in der Hand begegnen. Außerdem gab es eben auch
die anderen Songs für dieses Album, und die haben ja wegen ihrer unpolitischen
Aussage nicht weniger Tiefe.
Du reist gerne herum.
Auf dem aktuellen Album sind Jerusalem oder Bagdad dabei heraus gekommen. Musst
Du dahin fahren, um über sie zu schreiben, oder ist es eher anders herum?
Meine Mutter sagt, ich bin ein Todsuchender, weil ich immer zu diesen Plätzen fahre, die zu den gefährlichsten gehören. Ich war letzte Ostern in Jerusalem, der Song entstand allerdings vorher, weil ich wusste, dass ich da hin fahren würde. Der Titel ist einem Buch entlehnt von Edward Whittemore, einem ex-CIA Agenten im Mittleren Osten, der später ein paar sehr obskure Bücher geschrieben hat, und Jerusalem Poker war eins seiner weniger obskuren.
Musikalisch sticht "This is Baghdad" für mich heraus, weil es von meinem sehr eindrucksvollen Trip nach Bagdad handelt. Der Song, genauso wie "Tell the Universe" sind mir auch textlich die wichtigsten auf dem Album, v.a. die Tatsache, sie dem amerikanischen Publikum vorzustellen. Aber um auf die Frage zurück zu kommen, in den meisten Fällen reflektiere ich eher das Erlebte, schreibe die Songs also hinterher. Früher, als touren noch etwas entspannter war, sind dabei auch ein paar Songs über Europa entstanden, heute habe ich während der Tour kaum Zeit dafür – oder wenn Zeit da ist, dann fehlt mir die Energie dazu.
In Europa tourst Du
alleine.
Ja, leider. Ich sage leider, weil ich sehr viel Spaß mit meinem Trio in Nordamerika hatte, aber es war leider nicht möglich, sie mit nach Europa zu bringen. Ein Trio ist die ideale Besetzung, weil man viele musikalische Möglichkeiten hat. Andererseits macht es mir auch Spaß, akustisch aufzutreten, denn so sind die Songs immerhin entstanden.
Du bist 61 und hast trotzdem
einen beneidenswert regelmäßigen Album-Output – hast Du noch andere Hobbies?
Ich arbeite immer nur von einem Album zum nächsten, und bis jetzt lief es sehr gut, das stimmt wohl. Andererseits habe ich den letzten Song vor Monaten geschrieben… was jetzt nicht so sehr ungewöhnlich ist, weil ich in der Regel während der Tourneen nicht schreibe. Früher hätte mich diese lange Pause wohl schon eher verrückt gemacht. Aber ich genieße es, mit diesem Album so intensiv zu touren, wann es also weiter geht, kann ich nicht sagen. Oder OB es weiter geht… aber ich hoffe es, ich liebe, was ich mache. Und habe ich noch andere Hobbies? Eigentlich nicht!