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Mit seiner Band Porcupine
Tree hat sich Steven Wilson den Insiderstatus längst abgelegt – nach unzähligen
Alben in Eigenregie als Ein-Mann-Projekt spätestens mit den letzten 4 bis 5
Alben, die auch international die Aufmerksamkeit der Medien erreichen konnten.
Aber Steven Wilson war schon immer weit mehr als nur Porcupine Tree (im
Folgenden mit PT abgekürzt). Neben seiner Arbeit als erfolgreicher
Musikproduzent (z.B. für Fish, Opeth oder Anja Garbarek) ist er auch in
mehreren musikalischen Projekten beteiligt, so wie der langjährigen
Kollaboration mit Tim Bowness in No-Man, dem Ambient-Projekt Bass
Communion oder auch der Arbeit mit dem israelischen
Star Aviv Geffen
in der Band Blackfield. Die veröffentlichen nun ihr zweites Album
"Blackfield II":
Steven Wilson über den aktuellen Stand seiner Arbeit. (2007)
Du wolltest
eigentlich 2006 etwas kürzer treten und Dir eine Auszeit gönnen – nun gibt es
gleich zwei neue Alben. Scheint nicht so richtig geklappt zu haben, oder?
Nein, in der Tat! Ich bin weniger getourt, und hatte immerhin auch so viel Auszeit, um neue Songs zu schreiben, aber ich hatte eigentlich nicht vor, zwei neue Alben aufzunehmen, das stimmt. Ich habe also eine Menge Zeit im Studio verbracht, was ja auch etwas wert ist. Mein derzeitiger Plan ist es, 2008 eine Pause zu machen….
War es von Anfang an
geplant, ein zweites Blackfield-Album aufzunehmen?
Nein, überhaupt nicht. Blackfield hat mich mit jedem weiteren Schritt weiter überrascht. Eigentlich sollte es ein 1-EP-Projekt sein. Dann wurde daraus ein Album, dann kam eine Tour, und es wurde immer mehr, und jetzt gibt es sogar ein zweites Album und wir denken schon eher in Termen drei und vier – das ist weit mehr, als geplant. Aber im Prinzip war meine ganze Karriere so. PT war ursprünglich eigentlich auch nicht mehr, als ein bisschen Spaß in meinem kleinen Heimstudio. Und langsam wurde es weit erfolgreicher als alles andere was ich bis dahin gemacht hatte.
Wo steht Blackfield heute für Dich?
Darüber denke ich eigentlich gar nicht nach. Natürlich gibt es Prioritäten in meinem Leben, es wäre Quatsch, das nicht zu beachten. PT verkaufen weit mehr Alben als alles andere was ich mache, aber künstlerisch reizt mich gerade die Vielfalt meiner Arbeit und ich hätte gar keine Lust, mich auf eine Sache zu beschränken. Eins meiner wichtigsten Projekte ist mein am wenigsten bekanntes, das Ambient-Projekt Bass Communion, das würde ich aus musikalischen Gründen wirklich nicht aufgeben wollen. Aber in kommerzieller Hinsicht sind PT natürlich am wichtigsten – auch wenn Blackfield bestimmt das Potential haben, das noch zu übertreffen. Immerhin gibt es hier wesentlich radio- und massenkompatibleres Material.
Also was macht den
Charme der Band aus für Dich?
Das großartige an Blackfield ist, dass es mein einziges Projekt ist, das sich wirklich auf tolle Songs konzentriert. Das hatte mich ja auch an der Zusammenarbeit mit Aviv gereizt – und er schreibt ja auch 70% der Songs – er ist einfach ein Meister für diese ursprünglichste Art von Songwriting. Es ist wirklich schwer, überzeugend zu sein in diesem Strophe-Refrain-Strophe-Format, und Aviv kann das und steht für mich gleichberechtigt neben Leuten wie Paul McCartney oder Brian Wilson usw. Ich habe das immer mal probiert mit PT, aber Aviv ist definitiv besser.
Im Prinzip
repräsentiert Blackfield ja die Pop-Seite von PT, oder?
Jein. Das traf wohl für das erste Album zu, aber ich meine, dass das neue Album durchaus sein eigenes Format getroffen hat. Natürlich gibt es auf beiden Seiten Songs, die auch an anderer Stelle gepasst hätten, und natürlich ist es meine Stimme und meine Produktion, was den Blackfield-Sound immer in der Nähe von PT stehen lassen wird, aber insgesamt sehe ich in Blackfield eine eigene Charakteristik.
Es ist also nicht so,
dass Du PT-Ideen zur Seite packst für Blackfield?
Nein. Aber es ist durchaus so, dass Blackfield sehr befreiend für PT sind, weil ich diesen Aspekt meines Schreibens bei PT vernachlässigen kann. Das neue PT Album ist wesentlich weniger songorientiert als die letzten 4 Alben, ist viel progressiver, experimenteller und ambitionierter und die Songs sind viel länger und komplexer. Es ist fast so, dass Blackfield mir ein neues Ventil gegeben hat für diese Seite meiner Persönlichkeit, so dass ich mit PT eher in die Richtung musikalischer Reisen gehen kann.
Auf Deiner aktuellen
Tournee spielst Du in Clubs, mit denen Du mit PT vor Jahren angefangen bist und
denen Du mit PT längst entwachsen bist. Ist es nicht seltsam, an gleicher Stelle
eine neue Band aufbauen zu müssen?
Es ist unvermeidlich. Aber es stört mich nicht. Ich habe es immer geliebt, in kleineren, intimeren Clubs zu spielen.
Ich erinnere mich nur
an Mike Rutherford, der sagte, dass er mit Ray Wilson einfach nicht noch einmal
durch diesen ganzen Kampf gehen wollte, den er schon zwei Mal gegangen war –
mit Genesis und mit den Mechanics, wie schwer der zweite auch immer war… Aber
vielleicht hast Du davon auch einfach noch nicht genügend, bzw. zu viele
kämpfen müssen.
Nun, der Unterschied zu Mike Rutherford ist der von ein paar Hotel-Sternen. Wir touren immer noch mit 12 Leuten im Bus und das ist auch mit Blackfield nicht anders.
Wir sprechen uns also
in ein paar Jahren noch einmal zu dem Thema… So wie ich es verstanden habe, ist
Aviv auch ein Sänger. War es immer klar, dass Du der Hauptsänger sein würdest?
Ja, ich denke schon. Aviv singt einen Song alleine und auf ein paar weiteren teilen wir uns den Gesang. Aber Aviv singt eigentlich in Hebräisch und er wird erst langsam besser im Englischen. Aber die ursprüngliche Idee war immer, seine Songs und seine Fähigkeiten mit meiner Stimme an ein internationales Publikum zu bringen. Deswegen schreibt er den Hauptteil der Songs und ich besorge den Rest.
Aviv Geffen wird als Künstler
der "Gegenkultur" bezeichnet – kannst Du das näher erläutern?
Aviv hat in Israel eine Position, zu der sich nur sehr schwer eine westliche Parallele finden lässt. Israel hat viele politische Probleme und Aviv ist ein Vordenker der jungen Generation geworden. Er hat den Kriegsdienst verweigert, er hat kritische Songs gegen die Besetzung geschrieben, und er hat das Denken vieler Menschen verändert. Die einzige Band, die das vorher jemals geschafft hat, waren die Beatles vor 40 Jahren, einfach weil sie die Menschen dazu gebracht habe, anders über das Leben zu denken. Aviv hat diesen Status in Israel, weil er der erste war, der aufgestanden ist, und revoltiert hat und öffentlich seine Meinung gesagt hat. Er war der letzte Mensch, der Rabin umarmt hat, Sekunden bevor der erschossen wurde. Er hatte bei einem Friedensmarsch einen Song zu Ende gespielt, Rabin umarmt und war von der Bühne gegangen, und der Mann der Rabin erschoss war ein Mann, der vorgab, Avivs Fahrer zu sein. Man sieht also, wie sehr sein ganzes Leben mit Israel zu tun hat, und er ist eine Ikone für viele junge Leute in Israel.
War es denn nach dem
ersten Blackfield Album, dass Du mit PT auf Platz 1 in Israel warst?
Ja, das war mit "Deadwing", und das kam später geraus, also war das bestimmt auch eine Reaktion auf das erste Blackfield Album.
Nun gibt es eine Tour
im Februar – und gleich danach kommt das neue PT Album raus, was ganz schön
knapp ist…
… ja, ich komme gerade wieder, da muss ich mich auch schon darum kümmern. Aber Du siehst – man kann so ja auch gut beides verbinden.
Spielt Ihr PT Songs –
oder habt Ihr auf der letzten Tournee?
Ja, auf der ersten Tour hatten wir ja nur ein Album, also haben wir ein paar PT Songs und ein paar von Aviv gespielt, aber dieses Mal haben wir genug eigenes Material. Außerdem spielen PT ja nur ein paar Wochen später. Aber ich will nichts ausschließen…
Interessanterweise haben wir z.B. gerade "Feel so low" von "Lightbulb Sun" umarrangiert, der mit PT ein extrem ruhiger Song war, und den wir mit Blackfield in ein Rockmonster verwandelt haben… eigentlich genau der entgegen gesetzte Weg, den man in dieser Konstellation eigentlich erwartet hätte.
OK, zu PT: Du hast
Dich für ein neues Label entschieden!
Ja, Warner hat keinen besonders guten Job gemacht in Europa, abgesehen von Deutschland. Und der Typ, der uns hier gesignt hatte, ist nun gegangen, also wurde es offensichtlich auch Zeit für mich zu gehen. Amerika lief gut, aber wir hatten eine schreckliche Zeit in manchen Ländern. Die haben überhaupt nicht begriffen, wen sie vor sich hatten und haben die Alben einfach in die Läden gestellt, und sich weiter nur um die Madonnas und Red Hot Chili Peppers gekümmert. Und es war die Aufgabe der Fans, sich darum zu kümmern. Und wir sind durchaus noch interessiert, mit jeder neuen CD neue Fans zu gewinnen. Roadrunner sind in dieser Hinsicht sehr viel aggressiver beim Marketing von neuen Bands, und sie haben einen guten Ruf und sind offensichtlich in der Lage, neue Bands auch nach ganz oben zu bringen – siehe Nickelback. Das zeigt mir, dass sie in der Lage sind, sowohl den Untergrund als auch die Masse zu erreichen. Also sind wir in Amerika bei Warner geblieben und sind für Europa bei Roadrunner.
"Fear of a Blank
Planet" klingt spannend – sehr futuristisch. Und ein Konzeptalbum mit nur
sechs Stücken klingt nach Prog! Ist es das?
Absolut. In jeder Hinsicht. Lange Stücke zu machen ist nur
eine Charakteristik von Prog und wir haben schon immer eine Affinität zu Prog
gehabt, weil ich auch sehr gerne lange Stücke schreibe. Und wie erwähnt, hat
mich Blackfield von der poppigen Seite etwas befreit. Aber zurück zu ersten
Frage, ist es futuristisch? Eigentlich nicht, weil ich der Meinung bin, dass
wir schon heute auf einem leeren Planeten leben. Die Kids wachsen vor PCs auf
und glauben, dass Musik sich so anhören muss, wie MP3 es ihnen vorgibt, sie
glauben nicht an Alben, weil sie ihre Musik auf digitalen Playern mit sich
herum tragen und wachsen auf mit universellem Zugang zu jedem Titel und jeder
Information, die sie wollen – Hardcore Pornographie, Gewalt, Bilder, alles
über´s Internet – und das erzeugt in mir das Bild von Menschen, denen eine der
wichtigsten Eigenschaften überhaupt fehlt: Neugier! Neugier, herauszufinden,
was wichtig im Leben ist, was den Unterschied im Leben ausmachen kann, der uns
zu Individuen macht. Wir wachsen auf in einer Ziviliastion, die jeden Tag
leerer wird – TV, Internet, Computer, Playstations, Handys, die Menschen leben
immer mehr durch Apparate und in einer virtuellen Realität, nicht im wirklichen
Leben. Und das verändert ihre Fähigkeit, Dinge wertschätzen zu können. Das TV
schraubt sein Niveau herunter mit Promi-Shows und Reality-TV und verdummen mehr
und mehr. Und darüber bin ich sehr besorgt! Und "Fear of a Blank
Planet" ist über diese Sorge. Darüber, dass wir längst in dieser Leer
angekommen sind.
Und es ist auch
musikalisch ein Konzeptalbum?
Es erzählt keine Geschichte, aber es hat ein übergreifendes Thema, wie eigentlich alle PT Alben bis jetzt, dieses Mal vielleicht noch offensichtlicher. Und musikalisch gehen alle Songs ineinander über, aber trotzdem gibt es einzelne Songs und Songteile, die auch alleine stehen können, aber es ist schon als ein Stück konzipiert.
Mit den letzten Alben
bis Du härter und kantiger geworden – setzt sich dieser Trend fort?
Es gibt durchaus neue Aspekte, es gibt härtere Teile, in denen es fast Industrial-mäßig zugeht, rhythmisch pumpend im Nine Inch Nails-Stil, aber auch jede Menge sehr ruhige und intime, sowie sphärische Elemente, also im Prinzip nicht anders als die letzten Alben waren.