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Mit dem Hamburger Quartett
Tocotronic hat das Watt En Schlick Festival 2018 eine Institution unter den
deutschen Bands eingeladen: Seit 25 Jahren dabei gehören sie nicht unbedingt zu
den erfolgreichsten, durchaus aber zu den einflussreichsten Bands der Republik.
Als Mitbegründer der „Hamburger Schule“ konnten sie sich früh einen Namen und
einen Status erspielen, der ihnen auch heute noch eine gute Reputation sichert.
Wobei lange nicht ganz klar war, was wichtiger ist, Musik oder Text, Gefühl oder
Aussage. Womit sich die Frage stellt, wo sich Sänger und Mastermind Dirk Von
Lowtzow am ehesten sieht. Eine Frage, die wir gerne weitergeben.
Wie definierst du
deine Kunst – oder besser: Definierst Du Deine Kunst?
Was denn? Die Musik? Die Texte? Ich glaube nicht, dass
Künstler auf diese Frage die richtige Antwort haben. Natürlich kann ich sagen,
dass ich Musiker bin und in der Rolle auch sowohl Instrumentalist als auch
Sänger und Songschreiber – und das was wir machen ist im weitesten Sinne
Rockmusik ist, vielleicht auch Pop.
Hat sich das
verändert über die Jahre?
Nein, eigentlich nicht. Natürlich haben wir uns als
Menschen verändert und hat sich auch unsere Musik in den 25 Jahren verändert,
weil wir uns auch als Musiker entwickelt haben und das wäre auch nicht gut,
wenn das nicht so wäre in einem Genre, in dem man sich nicht dezidiert einem
gewissen Genre verschrieben, bzw.
verpflichtet hat. Im Heavy Metal würde man wahrscheinlich schief angekuckt,
wenn man sich zu sehr verändert, aber das ist ja, wie gesagt, bei uns nicht der
Fall. Wir treten niemandem auf die Füße,
wenn wir uns verändern.
Aber es ist auch
interessant, dass du „Rockmusik“ als erstes genannt hattest, ich hatte euch
stärker im Pop verortet, fand aber das neue Album angenehm rockorientiert…
Das war immer mal mehr das eine oder mehr das andere –
das sind die zwei Pole, zwischen denen wir uns bewegen und da wir als Quartett
immer mehr sind als die Summe seiner Teile, kommt es da immer zu Bewegung. Ich
würde sagen, Rock ist mehr unsere Live-Seite, und auf den Alben fangen wir das
mal mehr mal weniger ein, aber wir hatten auch immer die Pop-Seite in uns. Und
wir sind auch nicht die, die das für uns definieren oder für die dieser
Unterschied besonders wichtig wäre.
Das aktuelle Album
hat ein übergreifendes Konzept – wie kam es dazu?
Konzepte und wie man dazu kommt, sind oft nicht viel mehr
als Gedankenblitze oder kurze Ideen und dann findet man sich in der Situation
wieder, dass man diese Idee weiterverfolgt. Oder man stellt fest, dass 3, 4
Songs ein ähnliches Thema eingeschlagen haben – bewusst oder unbewusst – und
dann entscheidet man sich, dieses Thema weiterzuverfolgen. In diesem Fall war
das Thema Biografie – oder besser: Meine Autobiografie. Nun sind
autobiografische Texte im Pop nicht so außergewöhnlich, aber wir haben das
insofern strukturiert, als wir das chronologisch geordnet haben in Vorwort, die
Unendlichkeit von Kindheit und bis hin in die Zukunft – und das hat besonderen
Spaß gemacht.
Warum der Titel
„Die Unendlichkeit“?
Für eine Biografie gibt es keinen besseren Titel, das war
uns von Anfang an klar.
Stücke wie „1993“:
Haben nostalgische Gedanken etwas mit dem Zeitgeist zu tun – momentan scheinen
einem ständig diese Art von Rückblicke zu begegnen im Radio – oder mit dem eigenen
Alter?
Ich würde schon dem Wort nostalgisch widersprechen.
Natürlich behandelt eine Autobiografie Stationen des Lebens, aber nostalgisch
hieße ja eine Verklärung von Tatsachen und das tun wir ja gerade nicht. Wir
blicken ja sehr nüchtern darauf. Musik hat viel mit Geschichte und Geschichten
zu tun, aber nicht unbedingt mit Nostalgie. Gleichzeitig gibt es natürlich
Momente und Elemente, wie z.B. in „Electric Guitar“, die Hörern in meinem Alter
das Gefühl von sehnsuchtsvollem Rückblick geben. Aber abgesehen davon geht das
Album ja sogar bis in die Gegenwart, bzw. in Stücken wie „Mein Morgen“ oder
„Alles was ich immer wollte“ sogar bis in die Zukunft.
Was hat Dich 1993
nach Hamburg gezogen?
Ich wollte Musik machen und Hamburg war die Stadt, die
ich damit assoziiert habe, in der die Musik stattfand, die mich interessiert
hat. Hier hatte ich das Gefühl, könnte es eine Szene für mich geben.
Hat das Album,
bzw. das Thema des Albums etwas mit eurem 25jährigen Jubiläum zu tun?
Nein, eigentlich nicht, nein. Und wenn man so lange
zusammenspielt, hat man ja ständig irgendein Jubiläum, 10., 11., 15….. Da muss
man ja schon fast aufpassen, wenn man ein Album nicht in einem Jubiläumsjahr
veröffentlichen will (lacht).
Am Anfang einer
Karriere will man ja gerne so hoch wie möglich, was würdest Du heute als Dein
Ziel, bzw. Deine Herausforderung bezeichnen?
Bei mir persönlich ist es fast umgekehrt, weil ich
anfangs eher Angst hatte, viele Leute zu erreichen, weil wir eigentlich lieber
in einer bestimmten Indie- und Underground-Szene ankommen und erfolgreich sein
wollten, und da war großer Erfolg ja eher verpönt. Das kann man gut am Beispiel
Nirvana sehen, die an ihrem Erfolg und nicht zuletzt auch an den
Schuldgefühlen, die eigenen Ideale verkauft zu haben, vielleicht auch
zerbrochen sind. Deswegen ging es bei Band wie uns eher um eine größtmögliche
Abgrenzung. Das kommt mir heute, aus der Sicht eines 47-jährigen schon fast
albern und elitär vor, heute denke ich eher, dass das gerne hören soll, der es
mag und freue mich darüber, wenn es ein paar mehr sind.
Dann wart ihr aber
nicht sehr erfolgreich in dem Vorhaben…
Die Herangehensweise ist ja auch zugegeben etwas
schizophren, denn letztendlich will ja jede Band irgendwie Erfolg haben. Aber
die Zeit war auch eine andere, vor der Digitalisierung, in der die
Musikindustrie eine Größe hatte, von der man sich als Indie-Künstler nicht
unbedingt vereinnahmen lassen wollte und in der es Künstler gab, mit denen man
nicht auf eine Stufe gestellt werden wollte. Man könnte es eher als eine
Ideologie bezeichnen, in der man allzu einfach erkauften Erfolg nicht haben
wollte – und das durchaus viele Bands beschäftigt. Heute sehe ich das
gelassener – es ist ja nur Musik (lacht).
Würdest du das
denn heute – noch – als ein Ziel deiner Arbeit bezeichnen?
Wir können das als Band nur anbieten – und wenn es Leute
gibt, die das mögen, klar, gerne. Früher galt es auch als unpassend, wenn Leute
mitgesungen oder mitgeklatscht haben. Hey, wir sind hier im Underground, nicht
im Musikantenstadl! Heute finde ich das sehr schön, wenn die Leute meine Musik
kennen. Da kannste mal sehen, wie verdreht im Gehirn wir damals waren – und
damit waren wir nicht einmal allein.
Deswegen habt ihr
damals auch die Comet-Auszeichnung von VIVA abgelehnt!
Das ist richtig, wobei ich das unter den Voraussetzungen
auch heute noch ablehnen würde. Immerhin hieß die Kategorie damals „Jung,
deutsch und auf dem Weg nach oben“ und das war uns zu nationalistisch und wir
haben uns als bewusst antinationalistisch und im Gegenzug unsere Musik als
internationalistisch gesehen haben, deswegen wollten wir den Preis nicht haben.
Was ist denn deutsch, wer ist deutsch, wer wird dazugezählt – das sind ja ganz
aktuelle Themen. Kann jemand mit Migrationshintergrund diesen Preis auch
gewinnen? Deswegen haben wir mit der Ablehnung gegen diesen Preis und gegen
dieses Schubladendenken demonstriert.
Im Mai kam das
Album „Coming Home“ heraus – ein Mixtape, das ihr zusammengestellt habt.
Ja, man hatte uns gefragt, ob wir das machen wollten. Die
Idee ist, ein Tape zusammenzustellen, mit Songs, die man hören würde, wenn man
abends – oder frühmorgens – aus dem Club nach Hause kommt. Eine Playlist von
Songs, die man zum Runterkommen auflegen würde.
Das habt ihr als
Band zusammengestellt – muss aber in seiner Aussagekraft nicht überbewertet
werden?
Ja, das sind Songs, die dann auch als „derzeitge
Lieblingssongs“ bezeichnet werden könnten, aber man muss deswegen keine
Verbindungen ziehen.
Nicht unbedingt
Songs, die ihr im eigenen Set als Coversongs haben würdet?
Nein, nicht unbedingt. Wir haben derzeit auch kein Cover
im Programm.
Die erste Tournee
zum Album ist schon durch – inwieweit unterscheidet sich eine Tour-Setlist von
der eines Festival-Gigs, bei dem ja auch viele Leute, die nicht unbedingt Fans
sind, da sind?
Eigentlich nichts, weil es eigentlich auch nichts bringen
würde, sich darüber Gedanken zu machen. Wir können ja keine Voraberhebungen
machen… (lacht). Es gibt natürlich Festivals, bei denen man antizipieren
könnte, welche Stimmung herrscht oder welche anderen Bands spielen, so dass man
die Reihenfolge vielleicht etwas an die Stimmung anpasst, aber was sollen wir
sonst anders machen? Wir können ja gar nichts anderes (lacht). Aber im Falle
Dangast handelt es sich ja um ein eher liebevoll kuratiertes Festival, bei dem
ein breitgefächertes Programm und Publikum erwartet werden kann, das kommt uns
als Band mit unserem Programm eigentlich sehr entgegen. Da müssen wir uns gar
nicht groß verbiegen.
25 Jahre
Tocotronic – was ist für dich das schönste am Musikmachen?
Was mich immer wieder glücklich macht, ist wenn man es
geschafft hat, den anstrengenden Prozess, ein Album zu machen zur allgemeinen
Befriedigung geschafft hat, oder von einer anstrengenden Tournee zu kommen und
festzustellen, dass man die Leute mit dem erreicht hat, was man wollte – und
das ist ein glücklicherweise immer wieder vorkommendes Glücksgefühl.
Welche Rolle
spielen in dem Zusammenhang Eure Konzerte?
Ich nehme Konzerte v.a. körperlich wahr, und das ist das,
was ich daran am interessantesten finde. Im Singen, im Spielen und in der
Bewegung nehme ich meinen Körper sehr intensiv wahr und das macht sie so schön
und so spannend.