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Es herrschte immer so
ein bisschen Unklarheit über ihre Nationalität: Sind sie deutsch oder britisch?
Fest steht: Sie sind eine Institution des Progressivrock oder Artrock oder
Spacerock oder Krautrock – genau lässt sich das schwer definieren und schafften
es in den 70ern innerhalb von wenigen Jahren, sich einen Kultstatus aufzubauen.
Vor 41 Jahren in Hamburg gegründet von vier Briten auf der Suche nach der ganz
besonderen Chemie. Zwischenzeitlich in den Ruhestand versetzt sind zwei Viertel
immer noch hauptverantwortlich für den ganz eigenen Nektar-Sound – mittlerweile
ergänzt durch zwei deutsche Mitspieler. Es bleibt also Hälfte Hälfte, auch wenn
Mastermind Roye Albrighton mitten in England wohnt. Wir bringen ein bisschen
Licht ins Dunkel.
Von Ralf Koch
Das neue Live-Album
wurde auf der „Book of Days“ Tour aufgenommen – und ist das 6. (!) seit 2002 –
gegenüber 3 Studioalben… ist das nicht ein ungewöhnliches Verhältnis?
Ja und nein. Wir hatten ein paar Änderungen im Line-Up, und
es gab immer wieder Unsicherheiten, wer in der Band ist und wie sie jetzt
klingt, deswegen dachte ich, wir sollten noch einmal zeigen, wer wir jetzt sind
und was wir machen – weswegen wir uns ja auch durch viele Jahrzehnte spielen.
Ist es denn so entscheidend
für den Sound, wer in der Band ist?
Nein, aber manche sind da auch sehr empfindlich. Tatsache
ist, dass sich der Nektar-Sound wenig ändert, das stimmt schon. Aber man kann
auch sagen, dass wir eine tolle neue Dynamik in der Band haben, sehr viel Power
live – und deswegen wollte ich auch ein Doppelalbum, damit man die gesamte
Performance hören kann.
„Book of Days“ ist
drei Jahre alt – wie blickst Du heute auf das Album zurück. Es gab da ja einige
Schwierigkeiten…
Ja, was passierte war, dass wir fertig waren, in Münster das
Album aufzunehmen, aber wir hatten ein total doofes Management, das hier in
England aufgehalten wurde aus rechtlichen Gründen, aber das ist noch eine ganz
andere Geschichte. Aber sie waren wirklich schlecht. Letzten Endes kamen wir
nur dazu, die Grundspuren aufzunehmen – Bass und Schlagzeug – und plötzlich war
unser ganzes Geld weg, und das Studio nie bezahlt. Mit dem Ergebnis, dass das
Studio die Tracks nicht rausrückte und da ich die Songs als Vorproduktion
ohnehin schon fertig hatte, wie ich es immer mache, und da wir die
Albumveröffentlichung angekündigt hatten und ich keine Lust hatte, durch diesen
ganze rechtlichen Mist zu gehen und ein, zwei Jahre zu verlieren, haben wir
meine Vorproduktion rausgebracht. Ich habe immer gesagt, es wäre kein
vernünftiges Studioalbum, aber ich wollte die Songs veröffentlichen, auch
einfach um weiter zu kommen.
Nach dem ganzen
Stress – inkl. Umbesetzungsstress rund um „Book of Days“ – sind jetzt zwei
Deutsche in der Band!
Ja, ich kannte Klaus (Henatsch) von früher – und er konnte
auch gleich noch Peter Piehl als Bassisten empfehlen und mitbringen, das war
sehr praktisch! Und es ist eine tolle Kombination.
Nun hatte Nektar ja
ohnehin immer eine starke Verbindung zu Deutschland – u.a. wurde die Band hier
gegründet. Warum eigentlich gerade Deutschland?
Eigentlich Zufall. Ich war 1967 mit einer Band „Rainbows“ in
Deutschland und wir haben im Starclub gespielt. Tagsüber war wenig zu tun, und
ich wanderte so herum, als ich einen Drummer hörte, der da spielte, während die
Reinigungskräfte drin waren. Ich ging hinein und sagte „hört sich gut an“, was
dagegen, wenn ich meine Gitarre hole? Und so hab ich Ron Howden getroffen. Und
als wir uns verabschiedeten, sagte ich zu ihm, wenn er je einen Gitarristen und
Sänger suchte, solle er mich kontaktieren. Und ein paar Monate später bekam ich
ein Telex in London, in dem er mir sagte, dass sein Gitarrist ihn verlassen
wollte, ob ch Zeit hätte. Ich ließ alles stehen und liegen, bin auf’s Schiff
gegangen und bin nach Hamburg gefahren. Das war am 5. November 1969 – und der
Anfang von Nektar.
Und Hamburg war eine
ganze Weile Eure Heimat!
Ja, bis 1976. Wir hatten bis dahin ein paar Tourneen auch in
Amerika gespielt, hatten ein Hitalbum „Remember the Future“ und auch „Recycled“
machte sich auch sehr gut, also dachten wir uns, warum ziehen wir nicht in die
Staaten, wenn wir hier eh immer touren gehen dann halt immer mal zurück nach
Europa. Im Rückblick glaube ich, das war ein Fehler, aber man macht nun mal,
was man so macht – und so sind wir am 1. April 1976 mit Kind und Kegel in die
Staaten gegangen.
Passendes Datum! Ein Aprilscherz,
wie sich später herausstellte, oder?
Es hätte besser laufen können. Wir hatten zwei Plattenfirmen
– Bellaphon in Deutschland und Passport Records in den Staaten, die sehr viel
Geld investierten, und sie sagten, dass unsere europäisches Label auch mehr
machen müsste. Aber die wollten nicht. In der Band lief alles wunderbar, aber
es war dieses Gerangel zwischen den Labels, wer was bezahlt, etc., das uns echt
aufgehalten hat, das sehr viel Unruhe in unsere Arbeit gebracht hat. Und ich
hab gesagt, entweder schaffen wir es, uns zusammen zu reißen und diese Dinge zu
klären, oder ich hau ab. Naja, und Weihnachten 1976 bin ich zurück nach Europa
gegangen.
Lass uns noch einmal
auf das „Book of Days“ Album zu sprechen kommen. Inwieweit ist das ein Album
für das 21. Jahrhundert?
Nun, Nektar waren schon immer Nektar. Wir folgen keinen
Regeln und erst Recht keinen Moden, wir spielen einfach, was wir wollen. Viele
Leute nennen uns Progressivrock, manche nennen es Artrock, Spacerock oder
Krautrock, aber wer will uns schon in eine Schublade stecken. Aber wenn Du
meinst, ob dieses Album in das neue Jahrtausend gehört – klanglich sicherlich
nicht, aber ich habe ja gesagt, woran das liegt. Das hätte viel, viel besser
laufen können. Aber musikalisch? Sehr viele Menschen haben sich sehr gefreut
über das Album und über die Songs, also ja: dieses Album gehört ins 21.
Jahrhundert!
Es hätte allerdings –
musikalisch – auch vor dreißig Jahren erscheinen können, oder?
Schon möglich. Wie gesagt, ich glaube Nektars Musik hat kein
Verfallsdatum. Du kannst „A Tab In The
Ocean“ auch heute noch hören und es klingt nicht altmodisch, v.a. nicht, wenn
Du die Band live siehst. Wenn Du dagegen „Rock around the Clock“ von Bill Haley
hörst – das ist altmodisch! Oder The Nice mit ihren Keyboards. Aber Nektar
standen immer für sich selbst, man kann es nicht vergleichen, es gibt keine
Kompromisse.
Würdest Du das
gleiche über die ersten Alben sagen?
Nun, „Journey To The Centre Of The Eye” war eine Sammlung
aus Songideen, die wir seit Jahren mit uns herumgeschleppt hatten, wir waren
noch ganz neu zusammen, jeder hatte eine Menge zu sagen uns loszuwerden. Und „A
Tab In The Ocean“ war zur Hälfte noch aus Überbleibseln der ersten Sessions, es
ging einfach so weiter. Und genauso ging es ja weiter, wir waren schon immer
viel weiter mit unseren Aufnahmen, als wir an Alben veröffentlichen konnten. Trotzdem
haben wir doch geschafft, die Alben immer etwas unterschiedliche zu gestalten –
eher Songorientiert oder eher mit langen Epics, eher experimentell oder eher
klassisch. Und deswegen war es auch nie so einfach, uns zu schubladisieren.
Wie wichtig war – und
sind – Euch die Fans und ihre Sichtweise über den „klassischen“ Sound der Band?
Ich habe versucht, das zu analysieren, habe viele Leute
gefragt, was für sie der typische Sound ist. Viele haben gesagt, es ist meine
Stimme und meine Gitarre, aber was die Musik insgesamt betrifft, ist es wie der
Bandname: Manchmal ist sie süß, manchmal stinkt sie. Mal ist sie hart, dann
wieder soft, schnell, langsam, es ändert sich eben ständig. Und man weiß nie,
wohin es sich entwickelt – und das hält es interessant.
Ein Album wie
„Prodigal Son“ wurde z.B. eher als Bluesalbum angesehen…
Ja, von manchen – aber ich weiß gar nicht warum. Für mich
ist das ein songorientiertes Album mit progressiven Elementen - mit Thema, auf
das wir immer mal zurückkommen, usw. Aber „Prodigal Son“ war für mich v.a. mein
erstes Album nach meiner schweren Krankheit. Aber ehrlich gesagt würde ich das
Album gerne noch einmal aufnehmen – mit der jetzigen Band.
Warum?
Wir hätten es besser machen können.
Das auch? Na dann ist
es ja schon das zweite Album dieses Millenniums, über das du das sagst…
Ja, ich weiß, Musiker sagen das immer, oder? Weißt Du, was
ich am liebsten machen würde? „Journey To The Centre Of The Eye“ noch einmal
neu aufnehmen – mit einem Klassikorchester! Komplett ohne Mellotrons und aufgenommen
mit heutiger Technik, ganz nah und direkt. Aber ich fürchte, die Kosten
sprengen unseren Etat. Naja, vielleicht finden wir ja irgendwann mal einen
Sponsor…
In den 70ern habt Ihr
jedes Jahr mindestens ein Album veröffentlicht – war das zu intensiv?
Ja, aber das war nicht der Grund für das Ende. Touren war
sehr intensiv, ja, aber am schlimmsten war das ganze Warten. Auf Tournee und
noch mehr, als die Plattefirmen sich diesen Kampf lieferte. Ich war voller
Musik und ich wollte weitermachen und es ging einfach nicht voran. Das war mir
zu blöd. Aber dass daraus eine 20-Jahre Pause werden würde, konnte man da nicht
voraussehen. Ich ging nach Europa, spielte mit Curt Cress in Snowball, mit
Rupert Hines Quantum Jump, mit ein paar schwedischen Bands, ein paar in und um
London herum…
Dein kreativer Output
war zu der Zeit ja eher gering.
Ja, das stimmt. Und ich bin ein Singer/Songwriter, deswegen
mache ich auch weiter – und weil ich so gerne auf Tournee gehe.
Du arbeitest schon
eine Weile an einem neuen Album – wie steht es damit, wohin geht die Reise?
Das stellt sich in der Regel immer erst kurz vor Ende heraus,
deshalb mag ich mich da noch gar nicht so festlegen. Ein Song heißt
„Juggernaut“, und irgendwann hab ich gesagt, dass das Album so heißen wird. Aber
das war mehr aus der Not nach einer vernünftigen Antwort geboren… Ich plane, es
im Herbst fertig zu haben – wenn nichts ernstes dazwischen kommt.
Musikalisch ändert
sich ja offensichtlich eh nicht soo viel – aber Du bist ja so begeistert von
der Band, also wird sich das wohl auswirken…
Absolut. Zum Beispiel, weil Peter einen 5-Saiten-Bass
spielt, er ist wirklich fantastisch und wir haben schon ein paar Ideen
ausgetauscht und es wird richtig gut werden. Die Vorproduktion kommt ja wieder
von mir, aber was diese Band darauf macht, wird ein neues Kapitel für Nektar
aufschlagen. Ich meine, hör Dir „King of the Deep“ auf dem neuen Live-Album an,
das ist eine komplett andere Welt als in der Studioversion.
Also wird sich die
aktuelle Tournee noch nicht so sehr um neue Songs drehen?
Nein, aber wir haben ja Genügend, aus dem wir auswählen
können. Aber Du hattest erwähnt, dass wir in den 70ern fast jedes Jahr ein
neues Album veröffentlicht haben – da würde ich gerne wieder hinkommen. Ein
frisches Produkt jedes Jahr. Was heute schwieriger ist, weil wir in den USA
(Ron), UK (ich) und Deutschland verteilt sind.
Das stimmt, das war
damals wohl noch etwas einfacher.
Ja, Distanz ist das erste, wir lebten zusammen, hatten also
den ganzen Tag nichts anderes zu tun, als Musik machen. Keiner von uns war
verheiratet, das hilft schon, und ein anderer Unterschied war, dass die
Club-Situation anders war. Früher kam man mittags in den Club, konnte ausladen
und auf der Bühne proben, neue Sachen ausprobieren.
Heute undenkbar?
Absolut. Man kommt vor 4 gar nicht in die Clubs, muss
aufbauen, die ganze Technik aufbauen, wenn dann noch ein Support dabei ist,
geht eh gar nichts mehr. Das ist eine Menge verschenkter Zeit heute.
Habt Ihr eine
Vorgruppe?
Manchmal. Es ist eher der Veranstalter, der damit auf Nummer
sicher gehen will, weil, er sich noch ein paar lokale Zuschauer für die
Vorgruppe erhofft. Aber letzten Endes geht es von unserer Zeit ab. Allein
spielen wir mindestens 2 Stunden, oft zweieinhalb. Müssen wir ja schon, weil wir
so viel Material haben. Mit Vorgruppe wird das oft schwierig. Und ob dadurch so
viel mehr Zuschauer kommen, weiß auch keiner. Also ich kann auf eine Vorgruppe
verzichten.
Ihr habt Eure
kompletten Alben im Netz, die man sich als registrierter Nutzer anhören kann.
Lohnt sich das?
Ja. Du meinst, es würde den Verkäufen schaden? Keineswegs.
Ich meine, hören kann man die Songs auch anderswo, aber dieses komprimierte
Format ist doch kein echter Ersatz. Wer Nektar-Musik wirklich hören will, der
will die CD davon haben, da mache ich mir keine Sorgen. Und wer das – manchmal
auch parallel – auf seinem Laptop oder iPod oder Player haben möchte, der kann
das so machen, aber die haben dann meist
eh auch die CDs zu Hause. Aber ich brauche das nicht. Ich werde mir auch nie
einen iPod zulegen. Dieser ganze digitale Kram…
Wir haben hier und da
schon über die Veränderungen gesprochen – ein Thema, mit dem wir uns
wahrscheinlich auch zwei Stunden beschäftigen könnten – aber vielleicht ganz
kurz: Waren die „guten alten Zeiten“ wirklich besser?
Sprechen wir über das Touren oder das Aufnehmen?
Keine Ahnung, alles.
In einer Band zu sein.
Ja, ich fürchte, es war besser. Ich will nicht wie ein 60er-Rock’n’Roll-Opa
klingen, aber… es gab weniger Grenzen. Wenn man etwas ausprobieren wollte,
fein. Alles war möglich.
Hmm. Gerade das hätte
ich jetzt eher der heutigen Zeit zugeschrieben… Gerade musikalisch ist doch
heute alles möglich – und wird alles ausprobiert!
Ja, das mag sein, aber mir fehlen die Kompositionen. Früher
gab es nur Rock’n’Roll und Klassik und die Crooner, das war’s. Mittlerweile
gibt es Punk, Rock, Pop, Metal usw. aber ich habe das Gefühl, es gibt keine
Komponisten mehr. Heute legt man Sounds und Effekte übereinander. Sie nennen
das Kunst, ich nicht. Sounds kann man ganz einfach produzieren, aber
komponieren ist die wahre Kunst.
Gibt es neuere Bands,
die Du magst?
Nun, ich komme nicht viel raus.
Der Computer reicht
heute ja schon dafür.
Das stimmt, aber auch da gehe ich nicht weit. Meine
CD-Kollektion passt in einen Karton.
Es gibt also keine
interessanten Bands neben Nektar?
Wenn jemand mir sagt, hier, hör’ dir dies an, dann hör ich’s
mir an, aber sonst nicht.
Ich dachte man kriegt
Dutzende solcher Anfragen auf myspace.
Nein, sie wollen Dich adden, und manchmal hör ich mir davon
auch was an, aber ich lebe zumeist in meiner eigenen, kleinen Welt. Klar, gibt
es manchmal diese besonderen Erlebnisse, wo ich denke, ja, das mag ich, aber es
passiert selten. Die letzte Person, die mich wirklich berührt hat, war Jimi
Hendrix.
Oh, das ist lange
her.
Ja nicht? Aber sonst? Klar, mochte ich Genesis, ein bisschen
von Yes, und Spock’s Beard, das kann ich genießen, aber ich springt mich nicht
an. Klingt das kleinkariert?
Was immer der Grund
mag, offensichtlich hast Du ja auch so genug Musik in Deinem Kopf.
Ja, ich schreibe einfach, was aus mir rauskommt, ich sitze
nicht und denke lange drüber nach. Dann nehme ich’s auf und kann damit auf
Tournee gehen. Ich meine, ich sollte auf Alben anderer Leute spielen… aber ich
werde eh nicht gefragt. Ich meine, ich bin nur ein Bluesspieler, wer braucht
das schon. Mr. Albrighton – who?
Vielleicht solltet
ihr ja doch mehr auch mit anderen Bands spielen…
Ja, tun wir: Am 14. August beim „German Kultrock Festival“
in der Balver Höhle. Mit Jane, Epitaph und Frank K, alles so alte Bands wie
wir… die müssen so alt sein wie wir, oder? Ungefähr 900.
So, fühlst Du Dich so
alt?
Nein! Gar nicht. Ich bin wie ein alter Volkswagen…
Läuft und läuft und
läuft. Ich bin gerade 40 geworden und muss das erst einmal verarbeiten…
Ja, das hatte ich, als ich 50 wurde. Und dann noch mal als
ich 60 wurde.
Im Kopf ist man noch
20, oder?
Ja, ich bin 61 und gehe auf die 20 zu!